Im Sommer sterben (German Edition)
todsicher!«
Salvisberg lachte wieder. »Gehen Sie auch auf die Salzburger Festspiele? Nächstes Wochenende läuft Jedermann . Die Ferres spielt die Buhlschaft. Ich finde die Geschichte hinreißend, schon rein aus pathologischer Sicht. Kennen Sie’s?«
»Natürlich kenne ich’s.« Eschenbach war sichtlich genervt. »Das war Mord, Salvisberg! Die machen sich’s zu einfach in Basel.«
Die Dame am Schalter bat über den Lautsprecher die Fluggäste mit Flug nach Paris, Pass und Flugtickets bereitzuhalten und sie am Schalter vorzuweisen.
»Und wie um alles in der Welt kommen Sie auf Unfall? Können Sie mir das wenigstens noch erklären?« Eschenbach stand auf und stellte sich in die Reihe zu Jagmetti, der Ticket und Pass schon in der Hand hielt.
»Oliver hatte ein schwaches Herz. Er nahm Digoxin. Beides ist erwiesen. Vielleicht hatte er Schlafund Herztabletten verwechselt, die Schlaftabletten nicht vertragen, oder beides.«
»Das ist doch Schwachsinn, Salvisberg«, polterte der Kommissar und suchte in der Reisetasche nach seinen Tickets.
»Wenn jemandem, der ein schwaches Herz hat, eines Tages das Herz stillsteht, dann liegt der natürliche Tod näher als alles andere. Ist das denn so schwierig zu verstehen? Vielleicht ein selbst verschuldetes Missgeschick, Kontraindikationen mit anderen Medikamenten und dergleichen, einverstanden. Aber für eine Mordfantasie à la Agatha Christie müssen Sie schon verdammt gute Karten haben.«
Eschenbach befand sich kurz vor dem Check-in-Desk. Er wollte die Personen, die hinter ihm standen, vorlassen und bemerkte, dass er der Letzte in der Schlange war.
»Aber es ist doch möglich, dass ihn jemand erstickt hat. Zuerst die Schlaftabletten und dann im Schlaf erstickt. Das ist doch möglich und sieht aus wie Herzstillstand, oder?«
Die Dame, die ihm Ticket und Pass abnahm und zugehört hatte, sah ihn mit großen Augen an. Sie wollte schon einen Kollegen zu Hilfe rufen, als ihr Eschenbach unaufgefordert seinen Polizeiausweis entgegenstreckte. Sie nickte, stempelte und versuchte ein Lächeln.
»Natürlich ist das auch möglich. Möglich ist vieles«, sagte Salvisberg ungeduldig. »Wenn Ihre alte rostige Karre eines schönen Tags auseinander bricht, dann ist Sabotage auch eine Möglichkeit. Aber nicht sehr wahrscheinlich. Bringen Sie Beweise, vielleicht haben Sie Recht, und es ist etwas faul. Ich wollte Ihnen nur sagen, was der Stand der Dinge ist und was man mir gesagt hat, mehr nicht.«
»Schon gut«, grummelte Eschenbach.
»Ach ja, Geschlechtsverkehr hatte er auch noch, bevor er starb«, fügte Salvisberg hinzu. »Mit einer Frau. Vielleicht hat sie ihm das Herz gebrochen.«
Eschenbach bedankte sich, schaltete sein Mobiltelefon aus und ging durch den Andockstutzen ins Innere des Flugzeugs.
30
Paris mit dem Flugzeug sei nicht ungefährlich, hatte Rosa Mazzoleni ihm mit auf den Weg gegeben. Es liege nicht am Flug. Nein, dieser sei nicht gefährlich, nicht gefährlicher als sonst wohin, hatte sie gesagt. Eins zu wie viel auch immer; praktisch null, die Chance, dass man abstürze. Das Gefährliche sei die Taxifahrt vom Flughafen in die Stadt. Eschenbach fragte sich, ob sie wusste, dass er Taxis hasste. Egal, ob in Paris, Zürich oder sonst wo. »Nehmen Sie einen älteren Fahrer mit Veston und Krawatte«, hatte sie ihm ans Herz gelegt.
Der Einzige, der bei vierzig Grad im Schatten Veston und Krawatte trug, war ein alter Hongkong-Chinese. Die falsche Wahl, wie sich nachträglich herausstellte.
Für den klapprigen Renault lagen die hundertsechzig Sachen an der Grenze des Machbaren. Der Chinese nutzte Ton- und Lichthupe sowie die ganze Breite der sechsspurigen Autobahn.
Man sollte die Menschen nicht nach ihrer Kleidung beurteilen, dachte Eschenbach. Als ein Sattelschlepper vor ihnen immer größer wurde, streckte sich sein rechtes Bein und drückte, einem Reflex folgend, dorthin, wo kein Bremspedal war. Im letzten Moment wechselte der Chinese die Spur und sprach die ganze Zeit hektisch in das Kabel, das vom linken Ohr zum Mobiltelefon auf dem Nebensitz führte.
Zusätzlich zur Angst, die er ausstand, deprimierte es Eschenbach, dass Jagmetti seelenruhig neben ihm saß und in Paris Match blätterte. Als läge er in einer Hängematte. War es die Jugend, die die Gefahr nicht sah, einfach nicht wahrnahm? Oder das Alter, das im Bewusstsein der Endlichkeit die Gefahr überschätzte? Eschenbach hasste sich; für seinen Angstschweiß, und dafür, wie er am Leben hing, wie ein
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