Im Sommer sterben (German Edition)
Tisch und sagte: »Dann auf Ihr Wohl!«
»Auf das Ihre!«, sagte Eschenbach.
»Santé«, kam es gepresst von Jagmetti. Sie schwiegen eine Weile.
»Ich habe mir immer ein Kind gewünscht, wissen Sie.« Eveline hatte ihr Glas abgesetzt und ihre Beine zu sich auf den Sessel gezogen. »Schon ganz am Anfang, als ich noch verliebt gewesen war. Dabei habe ich immer gedacht, es läge an mir.«
»Und Doris?«, fragte Jagmetti. »Ist sie bei Ihnen aufgewachsen? Hier, in Paris?«
Eveline lächelte: »Ja, in den ersten Jahren war sie bei mir und später immer öfter bei Ernst in der Schweiz. Die Schulen sind hier nicht besonders, wissen Sie … und wir wollten nicht, dass sie in einer Großstadt aufwächst.«
Eschenbach verstand nicht viel vom französischen Schulsystem, aber es reichte, um zu wissen, dass die Schule nicht der eigentliche Grund gewesen war, weshalb Doris zurück in die Schweiz kam.
Eveline schien seine Gedanken zu lesen und fügte hinzu: »Ernst wollte es so … er hängt sehr an ihr. Es hat mit seiner eigenen Kindheit zu tun. Ein Kind braucht einen Vater … da war er stur. Schließlich hat es sich ergeben, dass Doris in der Schweiz zur Schule ging.«
»In Zürich?«, wollte Eschenbach wissen.
»Nein, in Einsiedeln, in die Klosterschule. Eine offene Klosterschule … wir haben sie nicht eingesperrt.«
»Lebten Sie immer getrennt?«, wollte Jagmetti wissen.
»Ja, eigentlich schon. Ich behielt meine Wohnung hier.« Sie zögerte, fuhr dann aber fort. »Wenn ich in der Schweiz war, dann wohnte ich bei Ernst, in seinem Haus am Sihlsee. Und in den Schulferien kam Doris meistens zu mir. Ernst war in der Schweiz beruflich sehr engagiert, und ich musste unentdeckt bleiben. Ein für alle Mal aus Philipps Leben verschwinden. Schon wegen des Kindes, verstehen Sie?«
Die Beamten nickten. Es war die übliche Erklärung einer Beziehung, die im Grunde genommen keine war.
Eschenbach sah sich die Bilder an, die an den Wänden hingen und in kräftigen Farben den Raum beherrschten: Zwei Strichmännchen in Rot und Blau umarmten sich. Sie hatten kein Gesicht – weder Augen, Ohren, Nase oder Mund. Und doch, sie versprühten Sinnlichkeit, etwas, das lebte, lachte und roch. Der Kommissar mochte die Bilder von Keith Haring; sie waren einfach in der Form – und trotzdem so unmissverständlich klar im Ausdruck. »Lieben Sie Ihren Mann?«, fragte er, als hätte ihn das rot-blaue Paar dazu inspiriert.
»Sie stellen einen Haufen persönlicher Fragen, Herr Kommissar.« Eveline lächelte ohne Verlegenheit. »Ich beantworte sie gerne … ich zweifle nur, ob Sie etwas damit anfangen können. Ist es schlussendlich nicht eine Frage des Standpunktes, wie wir Liebe definieren?«
Eschenbach sah auf die Uhr. Er wollte Antworten, keine Fragen.
»Ja, ich liebe Ernst. Er ist ein wunderbarer, ein starker Mann.«
Eschenbach nickte, kramte ein baumwollenes Taschentuch aus seiner Hose und tupfte sich Stirn und Schläfe.
»Wann haben Sie erfahren, dass Doris und Ihr Exmann ein Verhältnis miteinander hatten?« Es war Jagmetti, der diese Frage stellte.
»Irgendwann im Mai … ein paar Tage nach Pfingsten«, sagte sie ruhig. »Ernst hat mich angerufen und es mir gesagt. Wir hatten einen heftigen Streit deswegen. Ich habe ihm vorgeworfen, dass er es hätte verhindern müssen …« Sie hielt einen Moment inne. »Als ob sich das einfach so verhindern ließe. Ich habe ihm eine Szene gemacht, das können Sie mir glauben. Dass Doris und er in demselben Club Golf spielen mussten … schiere Nachlässigkeit, fand ich. Eine Nachlässigkeit, die ich von Ernst nicht kannte.« Sie hielt inne und sah den Kommissar lange an. »Aber wissen Sie, was das Perfide daran war?« Die Polizisten schüttelten den Kopf.
»Sie kannten sich gar nicht vom Golfplatz. Sie trafen sich im Tessin. Doris war mit einer Freundin dort. In einem Grotto, irgendwo am Lago Maggiore, lernten sie sich kennen. Merkwürdig, nicht wahr? Der Golfclub spielte gar keine Rolle.«
Eschenbach überlegte, ob sie sich was einreden wollte. Wenn Philipp nach ihrer ersten Begegnung wieder nach Zürich und Doris nach Paris gegangen wäre, hätte es dasselbe Ende genommen? Spielten die räumliche Nähe und der Golfclub nicht doch eine Rolle? Immerhin hatte Doris dort eine Stelle angetreten. Man kann das Schicksal auch herausfordern, fand er. Und doch, wie vorbestimmt war alles? Wo fing es an und wo hörte es auf mit dem Fatalismus? Es war ein Thema, über das Eschenbach mehr nachdachte,
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