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Im Sommer sterben (German Edition)

Im Sommer sterben (German Edition)

Titel: Im Sommer sterben (German Edition) Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Michael Theurillat
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nachgegrübelt. Fliegen eignete sich besonders dafür, fand er. Die abgehobene Unerreichbarkeit, die Einsamkeit über den Wolken, es hatte etwas Zeitloses, Ewiges.
    Als er auf dem Weg zum Flughafen im Präsidium angerufen hatte, um die Suchaktion nach Doris zu beenden, wusste man es dort bereits. Außerdem war Ernst Hottiger gelandet: vor zwei Stunden, mit einer Maschine der Air France, via Paris. Die Nachricht sei von der Flughafenpolizei Zürich-Kloten soeben hereingekommen, hieß es.
    Der Flieger, in dem Eschenbach saß, war halb leer. Der Kommissar hatte zwei Sitze für sich allein. Der wirkliche Luxus beim Fliegen ist nicht der Champagner, sondern der Platz, dachte er.
    Der Schweizer Fluggesellschaft, mit der er flog, ging es schlecht, schlechter, als man es wahrhaben wollte. Das meinten jedenfalls die Experten. Vor zwei Jahren war es ihr so schlecht gegangen, dass es am Ende nicht einmal mehr fürs Kerosin gereicht hatte. Man glaubte es erst, als die Flugzeuge stehen geblieben waren. Zum Glück am Boden und nicht in der Luft. Man kauft einem den Bettler nicht ab mit dem Schweizerkreuz auf der Brust, hatte Corina damals gesagt; mit Banken und Schokolade im Gepäck habe man im Armenhaus nichts verloren.
    Das Selbstbewusstsein der Schweizer war seither nicht mehr dasselbe, fand Eschenbach. Es war durchscheinend geworden, zerbrechlich irgendwie. In den Gesichtern der Stewardessen sah man es genauso wie in denen der Flugkapitäne. Hinter maskulinen Pilotenbrillen und einem aufgesetzten Lächeln verbarg sich Scham, wo früher einmal Stolz gewesen war. Sogar die Flugzeuge glänzten nicht mehr wie einst. Man tat sich schwer mit der Verletzlichkeit hierzulande. Vielleicht lag es an den hohen Bergen, den tiefen Seen oder am selbst auferlegten Zwang, immer und überall neutral sein zu müssen. Vielleicht war es auch die schiere Kleinheit, die Sprache, die niemand verstand, oder die Angst, mitten in einem wachsenden Europa langsam isoliert zu werden.
    Eschenbach las den Leitartikel der Neuen Zürcher Zeitung zur Lage im Nahen Osten und im Inlandteil den Bericht zum bevorstehenden Nationalfeiertag. Die große und die kleine Welt.
    Sie landeten.
    Wie jedes Jahr um diese Zeit herrschte am Flughafen Hochbetrieb. Heerscharen von Badelatschen und halb offene Freizeithemden mischten sich unter rahmengenähtes, schwarzes Leder und gestärkten Baumwollzwirn. Halb nackte Oberkörper mit ärmellosen T-Shirts konkurrierten mit hochgeschlossenen Businessuniformen. Ferien- und Arbeitswelt gaben sich die Hand, wobei Eschenbach auffiel, dass es in der Welt der Geschäftigen weitaus weniger hektisch zuging. Er dachte an Kobler und rief sie in Südfrankreich an, während er sich von einem Taxi ins Präsidium chauffieren ließ.
    Dass sie Doris Hottiger gefunden hatten, schien sie zu beruhigen. Vermisste und verschwundene Zeugen seien ein heikles Thema, vor allem bei einem Mordfall, meinte sie. Und natürlich hatte sie Recht.
    Er wünschte schöne Ferien, und sie bedankte sich; allerdings nicht ohne darauf hinzuweisen, dass sie viel Arbeit mitgenommen und nur noch vier Tage Urlaub habe. Nächste Woche sei sie wieder zurück, sagte sie, und falls etwas Gravierendes vorfiele, wisse er ja, wo sie zu erreichen sei. Es klang nach Entschuldigung und schlechtem Gewissen.
    Eschenbach stellte sich Kobler vor, wie sie in Badelatschen und Bikini unter südfranzösischen Palmen lag und Akten las.
    Beinahe hätte er gesagt, dass er daran denke, den Fall Bettlach noch diese Woche abzuschließen – und dass er mit dem Gedanken spiele, nächste Woche auch ein paar Tage Urlaub zu nehmen. Badend und angelnd auf Gabriels Fischerboot oder schlafend am Seeufer. Unter schweizerischen Platanen und ohne Akten. Vor allem ohne Akten.
    Er wusste nicht, was ihn zu dieser Vorstellung hinriss. Vielleicht war es die Müdigkeit, die er verspürte, oder die Hitze, die ihm täglich mehr zusetzte. Im Grunde genommen war es nur ein Gefühl. Er hatte es immer, wenn er lange und intensiv an einem Fall arbeitete und sich die Fäden in seinem Kopf zu einer Lösung verdichteten.
    Auf der Ablage neben Rosa Mazzolenis Schreibtisch stand normalerweise eine Schale mit feinsten, bunt verpackten Schokoladentäfelchen. Jetzt thronte dort, in hässlichem Computergrau, ein elektrischer Ventilator. Er drehte seinen Kopf brummend hin und her, als würde vor ihm Tennis gespielt.
    »Schauen Sie nicht so entsetzt. Es ist keine Schönheit … aber es war der Letzte, den ich kriegen konnte.«

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