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Im Stein

Im Stein

Titel: Im Stein Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Clemens Meyer
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ungültig! ), steht im gefliesten Raum des kleinen weißen Klo-Tempels, alles leer, kein Mensch, kein Geräusch, vollkommene Stille, dann hört er das Aufschlagen eines Wassertropfens auf einer Wasseroberfläche, irgendwo, hört das Summen der Neonröhren über sich an der Decke, geht zu den beiden Klokabinen, öffnet die Tür der ersten, blickt auf das runde verschissene Weiß eines Toilettenkörpers, stolpert würgend zurück, öffnet die zweite Tür, sieht dieselbe Explosion der Exkremente im Becken, an den Wänden sogar, braunes Gesprenkel, rennt würgend, brüllend fast, zurück auf den Bahnsteig, dort holt er tief Luft. Spucke läuft über sein Kinn.
    »In meinem ganzen Leben habe ich noch nie so ein verschissenes Klo gesehen. Unglaublich. Einfach unglaublich.«
    Die Musik ist hier unten kaum zu hören. Ein leises Grollen. Vielleicht auch die Züge. Null Uhr, drei Uhr, dreiundzwanzig dreißig. Hinter den Wänden, über den Mauern.
    »Was interessiert mich dein Scheißhaus.«
    Er setzt sich. Über dem kleinen Tisch, den ihm ein alter Schweißerfreund vor ein paar Jahren geschweißt hat, liegt eine Tischdecke aus Kaschmir. »Wenn du auf mein Scheißhaus gehst, also oben …, ist was ganz anderes. Sauberkeit, verstehst du. Man muss sich wohlfühlen, der Gast muss sich wohlfühlen. Das geht beim Scheißhaus los. Und das lass ich mir was kosten. Es geht nichts über eine gute Klobrigade. Wenn du mal musst …«
    »Willst du mich loswerden?«
    »Nein. Ich will dir nur etwas erzählen. Oder hast du keine Zeit? Bist du in Eile?« Er legt seine rechte Hand auf den Tisch. Der Schweißerfreund hat auch die Regale an den Wänden gefertigt. Stahl, Holz. Einfach, funktional. Zuerst hatte er die Idee gehabt, den ganzen Raum zu täfeln, Marke Herrenzimmer.
    »Du weißt, warum ich hier bin.«
    »Zu zeitig, viel zu zeitig. Timing, verstehst du, Timing ist alles, immer.«
    »Du kannst dir deine Spielchen sparen, Mister Piezceck.«
    »Spielchen? Keine Spielchen. Steigen wir also direkt ein.«
    »Du bist unvorsichtig.«
    »Und du bist wohl klüger, als ich dachte, ein echter Mister Kray.«
    »Was?«
    »Nur so ein Spruch, keine Angst.«
    »Angst? Warum sollte ich Angst haben. Ich bin hier, um ein Geschäft zu machen. Wir könnten …«
    »Uns einigen. Das meinst du.«
    »Ja.«
    »Und du hast recht. Setz dich doch.« Er greift nach einem der Stühle, schiebt ihn zu ihm rüber. Zusammengeschweißte Stahlrohre mit dünnen feinen Blechen als Sitzfläche. Rote Samtkissen auf den Sitzflächen. Er hat nur diese Art der Möbel hier unten. Alles von seinem alten Schweißerfreund, dem er damit einen guten Auftrag beschafft hat. Weil der seit Jahren arbeitslos war. Der Mann setzt sich. Die zwei Neonröhren an der Decke leuchten auf ihre Körper.
    »Weißt du, wo wir hier sind?«
    »In deinem Club.«
    »Drunter. In den Katakomben der alten Fabrik.«
    »Das Galvanowerk? Das war die Patenbrigade meiner Schule, neunzehnhundertvierundachtzig.«
    »Sag mir, was du weißt.«
    Er weiß gar nichts, du blödes Arschloch. Er blufft. Er will nur was. Hans zieht einen dritten Stuhl zu ihnen ran. Ich steh lieber.
    »Ich weiß genug. Man könnte auch sagen, was diesen Vorgang betrifft: alles. Und ich bin nicht gierig. Ich will nur hier weg. Aus der Stadt weg.«
    »Südamerika oder Mallorca? Du hättest alleine kommen sollen.«
    »Ich bin alleine.«
    Die Keller des alten Galvanowerkes, von dem nur noch das Verwaltungsgebäude steht, verzweigen sich bis unter die Häuser, sind verbunden mit den Kellern der anderen längst verschwundenen Fabriken des Viertels, in manchen Gängen rieselt der Putz, wenn ein Güterzug wenige Meter oberhalb die Bahnschneise durchfährt. In manchen Gängen rosten eiserne Türen, nummeriert, es gibt Treppen in tiefere Kellergeschosse. In einen dieser kleinen Treppenabgänge leuchtete er einmal mit einer Taschenlampe, ging ein paar Stufen nach unten, richtete den Strahl seiner langen Maglite-Taschenlampe auf den Boden, ließ ihn wandern, bis er sich im Dunkel verlor, keine Wände, keine Mauern berührte der Strahl seiner Taschenlampe, ein ungeheurer Raum. Wasserpfützen leuchteten auf, und als der Strahl in ein graues piepsendes Gewimmel fuhr, machte er, dass er wegkam.
    »Der leckt und leckt und leckt, und später raucht er eine und geht dann. Ist doch ’ne Drecksau. Na ja, ich meine, mir soll’s egal sein. Aber der hatte ja den Ring am Finger, soll mir auch recht sein, aber ich stell mir vor, der geht zu seiner Frau und küsst

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