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Im Stein

Im Stein

Titel: Im Stein Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Clemens Meyer
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die. Ich meine, der war bis zum Kinn in mir drin, hat das ganze Bett vollgesabbert. Aber wahrscheinlich küsst er seine Frau gar nicht. Wenn ich meinen Marco küsse, ich meine nach der Arbeit, wenn ich nach Hause komme, da habe ich mir vorher aber sowas von den Mund …, und eh immer mit Gummi, die meisten blasen ja jetzt ohne …, ist die neue Zeit. Ich meine, so alt bin ich noch nicht, und die meisten schätzen mich sowieso jünger als fünfundvierzig …, aber das kann über Nacht passieren, dass man durch ist und nicht mehr kann, aber ich bin gut drauf im Moment, und dann ist der Marco für mich da, wir sparen und sparen, und ich schufte, und er schuftet …«
    Die Klimaanlage läuft auf Hochtouren, das ehemalige Verwaltungsgebäude des alten Galvanowerkes schwitzt, Zink- und Chrompartikel tropfen aus den Mauern, schweben Monate später zwischen den Nebeln, Herbst, Sommer, November, Juli, nur noch wenige Güterzüge rumpeln über den Güterring, Gin Tonic ist wieder im Kommen, Gin and Tonic, sagte der alte Graf immer, er hat an der Börse viel verloren, Gerüchte, Hans sitzt in seinem Büro, will aufhören zu rauchen, zündet sich aber doch wieder eine an, sein Vater stirbt langsam oben in der Stahlstadt, aus der er vor vielen Jahren gekommen ist, ein blau leuchtendes Bild hat ihm sein Vater gezeigt, so sieht der Tod aus, Hans wartet, schaut auf die Uhr, Glashütte, die hat mal Honecker gehört, Rubine im Inneren, im Gehäuse, Gerüchte, jemand weiß zu viel, er denkt an das Wasserschloss in den Wäldern weit vor der Stadt, in der Heide, ein Teich, bedeckt mit Seerosen, der Schlossgraben hinterm Park, das Wasser still und dunkel, was will dieser Mann von mir, denkt er, hört auf die Musik draußen, drinnen, Stimmen, Lachen, später wird er wieder die Hits der Achtziger einlegen, eine unerhörte Angst , er dreht sich um, ist allein im Raum, schaut wieder auf die Uhr, dann auf sein Handy, das rote Festnetztelefon steht vor ihm, nur noch wenige Anrufe über diese Leitung, bald wird er es abmelden können, aber ein Büroanschluss ist ein Büroanschluss, mit seinem Freund in Tokio, dem Diamantenhändler, kommuniziert er über Skype, mit wechselnden Accounts und meistens in Chiffren, mit den libanesischen Zwillingsbrüdern aus Berlin kommuniziert er gar nicht, die warten, bis er sich meldet, er schwitzt, die Klimaanlagen halten die Arbeitsräume erträglich kühl, was das alles kostet, die Dunkelheit in den Ecken des Raumes, Aktenschränke, Regale, ein Tresor, er bewegt den schwenkbaren Kopf der Schreibtischlampe, der Laptop ist zugeklappt, Alex hat ihm das vor einigen Jahren beigebracht, gar nicht so schwer, Windows, Excel, Apple, er hat das Netz gehasst zu Anfang, sich lustig gemacht, hat dennoch Werbung schalten lassen, Webseiten einrichten lassen, bevor er selbst anfing, die Geschäfte per Mail oder Online-Banking abzuwickeln, das Gästebuch zu lesen, ganz vertraut er dem System nicht und tätigt wichtige Überweisungen am Überweisungsterminal der Postbank im Stadtzentrum, sein Steuerberater wird bald wieder anrufen, er will nach unten in seine kleine kühle Kathedrale unter dem Stein, unter dem Boden, der Keller unter dem Keller, Geheimgänge wie in einer Burg, aber hell erleuchtet seine kleine Kathedrale, sein Hobbyraum, von dem kaum einer was weiß, dem Graf hat er einmal erzählt, dass er sich da unten was ausbauen will, »Wie, da unten?«, »Nur ein Hobbykeller«, »Basteln beruhigt die Nerven, was? Als Kind hatte ich mal eine elektrische Eisenbahn, ich und mein Bruder, eine alte wunderschöne Märklin, die wäre bestimmt einiges wert heute«, »Wär was für deine Kinder«, Schweigen, das Haus schwitzt, die Klimaanlage läuft, der Stromzähler rotiert, Hans schwitzt, das Arbeitsamt war letztens da, hat kontrolliert, ob die Mädels nicht vom Staat kassieren, die Zuständigkeiten verändern sich, die Bullen lassen ihn seit Jahren in Ruhe, weil er den Laden sauberhält, weil AK mit den Bullen, den Ämtern und der Stadt gut steht, die Bullen wussten immer, wer bei ihm arbeitet, seine Bücher sind in Ordnung, alle profitierten von der Ordnung im System, er muss wieder mehr Sport machen, hat fünf Kilo zugenommen, das reicht nicht, es beruhigt ihn, die Antiquitäten zu berühren, zu pflegen, auf Samtunterlagen in den Regalen zu platzieren, nur ein Wahnsinniger sammelt diese alten Dinger wie Artefakte , »Werd ja nicht frech, du!«, es klopft, »Ja?«, Mandy schaut rein, »Ja?«, »Kannst du mal kurz kommen,

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