Im Stein
sein. Weil wir so tief liegen. Tieflandbucht, das haben sie uns damals in Heimatkunde beigebracht. Ich hoffe, dass es nächstes Jahr wieder mild wird. Geschneit hat es zu Weihnachten lange nicht mehr. Ganz sicher bin ich mir aber nicht. Bevor die Geschichte losgeht, ist Bertel mit zwei Säcken Geld zu sehen. Die schwenkt er und wackelt in den Hüften. Breitbeinig steht er mit diesen Säcken da. Tina macht bescheuerte Witze über Bertels Säcke. Die hat wirklich immer noch einen blöden Spruch drauf. Das kommt davon, weil sie zu viel »Bravo« liest, obwohl sie zwei Jahre jünger ist als ich. Sagt sie jedenfalls. Daisy Duck im Bademantel. Wir hören viel Musik. Tina Turner, Michael Jackson, Modern Talking, ich mag George Michael am liebsten. Die Nummer 86 heißt »Aus dem Leben eines Milliardärs«, und auf der zweiten und dritten Seite zieht Bertel eigenhändig eine große eiserne Plattform mit einem Seil nach oben. Auf der Plattform stapeln sich die Säcke. Die Geldsäcke. Bertel steht auf einem Haufen Kohle. Alles Münzen. Goldene Münzen. Die Geldmünzen habe ich ausgemalt. Natürlich nicht jede einzeln. Nur die zwei, drei, die von dieser eisernen Plattform runterfallen, weil einer der Säcke wohl undicht ist.
Ich habe immer schon viel gemalt. Da konnte sonstwas los sein. Das war wie Ohrenzuhalten und Augenzuhalten oder -zumachen. Ich habe alles vollgemalt. Auch meine Hände.
Der Erste heute hatte graue Haare und roch gut. Am Anfang. Dann brennt das in der Nase und in den Augen und überall. Ich habe angefangen, manche von den Münzen lila auszumalen, auf den schwarzweißen Seiten. Den Kuli hat er mir weggenommen, weil Buntstifte nicht auf der Haut halten. Manchmal ist mein Spitzer weg, und dann frage ich die anderen nach einem Spitzer. Ich weiß nicht, wo der immer verschwindet. Neulich fand ich ihn in einer Ritze im Bett. Hinterm Kissen, wo der Kopf immer liegt, mein Kopf immer liegt. Manchmal liegt er aber auch unten, wo sonst die Füße liegen, seine Füße, je nachdem, oder ich atme in den Stein hinter der Tapete, wenn ich stehen muss. Die Bude riecht muffig. Die Tapete riecht muffig. Der Stein ist feucht, denke ich. Wir haben auch in so einem muffigen Haus gewohnt früher. In so einer muffigen Wohnung. Weil das direkt unterm Dach war und das Dach nicht dicht war. Wenn ich auf dem Dachboden saß und gemalt habe. Und draußen war der Regen. Und unter mir, also unter der Decke, der Zimmerdecke, war mein Zimmer. Da hatte ich noch nicht so viele LTBs. Die Nummer 86 ist mein Lieblings-LTB, weil es das erste LTB war, das mir gehört hat. Das hat meine Mutter mir geschenkt. Weihnachten. Oder ich glaube Geburtstag. Mein Geburtstag ist im November, also kurz vor Weihnachten. Es muss doch einmal geschneit haben. Weil ich mich erinnere, dass wir Schlitten fahren waren. Aber da war ich noch so klein, dass ich mich kaum noch dran erinnere, wann genau das war. Das muss auf diesem kleinen Berg gewesen sein in diesem Stadtwäldchen. Der kam mir damals riesig vor, aber das ist normal, hat mir Tina gesagt, das ist wie mit den Schwänzen, nur manchmal sagt sie »Pimmelmänner« und lacht dabei, dass ich Angst kriege. Dabei kriege ich nicht schnell Angst. Auf diesem Hügel bin ich dann später nochmal gewesen, also vor einem oder zwei Jahren, wenn ich genau nachdenke, das ist manchmal nicht einfach, war’s vor anderthalb. Als ich anfing, auf die Flohmärkte zu gehen. Meine Uhr ist kaputt. Vor paar Tagen hat er mir eine neue geschenkt. Eine Quarzuhr. Ich soll das Armband nicht so eng stellen, sagt er, und er hat recht. Ich habe noch neue Löcher reingestochen, jetzt hat er mir die Gabel weggenommen, und manchmal kribbelt mein Arm. Weil ich die so eng drum rum schnüre. Da will er mir auch die Uhr wieder wegnehmen. Und ich verspreche, weil ich Angst habe, dass er mir die Uhr wieder wegnimmt, dass ich sie immer lose um mein Handgelenk trage. Und meistens mache ich sie ab, weil sie mir manchmal sagen, dass das stört, mit der Uhr. Ich verstecke sie im Bad in der Spüle, also der Klospüle. Denn sie ist ja wasserdicht. Steht hinten drauf. Ich weiß genau, dass die anderen neidisch sind auf meine Uhr. Vorne auf der Nummer 86 zeigt Bertel seine leeren Taschen. Dreht sie nach außen, die Taschen seines Mantels. Da, ich habe keine Uhr mehr! Ist ein Gehrock. Sagt Bertel nämlich selbst in einigen LTBs. Und Bertel hat auch keine Uhr. Bestimmt ist er zu geizig. Bertel guckt ganz unschuldig mit seinen großen Entenaugen. Die vom
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