Im Stein
über die Themse sind. Und dass der Tower gleich hinten im Garten vom Palast ist. Und dass die Königin da spazieren gegangen ist, na klar, und dass wir ein Autogramm gekriegt haben von ihr. Und dass Michael Jackson dort grad ein Konzert gemacht hat und dass man uns reingelassen hat, weil die Königin uns Sonderkarten geschenkt hat … Da konnte ich gar nicht aufhören mit Erzählen, da war ich richtig außer Atem auf dem Schulhof. Weil sie doch alle um mich rumstanden. Weil sie doch alle wissen wollten, wie es in London war. Und sonst nämlich nicht. Und von denen war noch keiner in London. Noch nie. Nur der eine. Stephan. Ich stelle mir vor, wie ich den zusammenschlage. Weil wenn er allein ist, bin ich stärker als er. Wie schwach ich bin, merke ich nur, wenn sie auf mir sind. Aber da würde ich auch nicht auf die Idee kommen zuzuschlagen.
Bertel rastet ziemlich oft aus. Wenn’s nämlich an sein Geld geht. Dann schüttelt es ihn und rüttelt es ihn. »Hab ich mich doch schon wieder verzählt!« Tina und die anderen Mädels können nicht darüber lachen, das verstehe ich nicht. »Das ist doch Kinderkram«, sagen sie.
»Noch einmal von vorn! Es ist zum Aus-der-Haut-Fahren!« Und da wälzt er sich auf den Münzen, die ich bunt ausgemalt habe. »Mir geht einfach der Traum von heute nacht nicht aus dem Kopf!« Und Bertel legt die Hände auf den Rücken und steht unglücklich in seinem Geldspeicher.
»Das ist falsch geschrieben«, sagt Tina. Sie trägt nur ein T-Shirt, das sie bis über ihre Oberschenkel zieht. Ihr dritter Besucher hat sie vorhin erst rasiert.
»Was denn? Was ist denn falsch?«
»Nicht ›nacht‹. Nacht!« Sie legt ihren Zeigefinger auf die Sprechblase.
»Das kann man bestimmt auch klein schreiben. Sonst würde es nicht so da stehen.«
»Es heißt aber eben ›Nacht‹. Die Nacht. Weil Substantiv.«
»Ja, aber ›heute nacht‹ ist nochmal was anderes. Da ist das eine Ausnahme. Weil man ›nachts‹ nämlich auch klein schreibt!«
»Trotzdem ist es ein Substantiv und deshalb groß. Immer groß.«
»Woher willst du denn das so genau wissen, du hast ja nichtmal die sechste Klasse fertig!«
»Ach, und du wohl?«
»Ja. Hab ich. Und sogar die achte.«
»Du lügst doch!«
»Nein, tu ich nicht!«
»Sag mir doch mal, was acht hoch zwei ist.«
»Pippi, sechzehn natürlich. Willst mich veräppeln?«
»Sechzehn? In deinen blöden LTBs vielleicht, bei deinem Onkel Flegelbert vielleicht!«
»Dagobert!«
»Was liest du überhaupt diesen Mist, wenn’s doch nur schwarzweiß ist. Ist doch Beschiss. Und Kinderkacke!«
»Ist zur Hälfte bunt, du Klugschiss. Besser als dein Doktor Sommer!«
»Ha, ha, ist ’ne Frau. Nichtmal das weißt du, dass der ’ne Frau ist!«
»Natürlich weiß ich das! Nur dass mich keiner mehr aufklären muss. Krieg erstmal deine Tage.«
»Hab ich schon längst. Du hast doch keine Ahnung. Du denkst doch noch, dass von der Pille deine Titten wachsen!«
»Deine müssen vielleicht noch wachsen, kein Arsch und kein Tittchen, wie Schneewittchen.«
Tina greift nach ihr, schlägt ihre Faust auf ihre Schulter und gegen ihre Brust und zerrt an dem Bademantel. Sie fallen beide vom Sofa, Tinas T-Shirt verrutscht, und sie sieht die roten Striemen um ihre Muschi, während sie versucht, ihr Gesicht zu schützen, die anderen zwei Mädchen stehen auf, gehen an die Wand, auch sie sind fast nackt, und sie blicken auf die beiden, die sich über den Boden wälzen, sich beißen und kratzen. »Blöde Kuh!«
»Kleine Fotze!« Tina schlägt ihr mit der flachen Hand ins Gesicht und auf die Brust. Dann hört sie plötzlich auf, rollt sich von ihr runter.
Als er dann wieder weg ist, sitzen sie beide nebeneinander auf dem Sofa, als wäre nichts gewesen. Tinas T-Shirt ist jetzt ausgeleiert und reicht ihr fast bis zu den Knien wie ein Minirock. Wie ein Kleid. Aber auch, weil sie so dran zieht. Der Bademantel ist weg, und auch das andere Mädchen trägt jetzt ein T-Shirt. Wie sie da so nebeneinandersitzen in den weißen T-Shirts, sehen sie fast aus wie Schwestern. Die eine ist ein bisschen älter. Sie rücken näher zusammen, und ihre Hände berühren sich.
Ich verstehe nicht, warum die Wohnung so klein ist. Wir sind zu viert oder zu fünft. Ich meine, es muss ja nicht gleich der Geldspeicher sein oder Bertels Villa, aber hier kann sich doch keiner wohlfühlen. Wie können sich denn die Männer hier wohlfühlen, in dieser kleinen, muffigen Wohnung. Aber über manche Dinge will ich nicht
Weitere Kostenlose Bücher