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Im Stein

Im Stein

Titel: Im Stein Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Clemens Meyer
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sich ranziehen, aber sie war schon da. »Die Zeit rennt so«, sagte sie, und er legte beide Arme um ihren Rücken. Presste seinen Kopf an ihre Brüste. »Ja, sie rennt«, sagte er, presste seine Stirn an sie.
    »Und jetzt bist du in der großen Stadt.« Er spürte das Vibrieren ihrer Stimme an ihren Brüsten und ganz tief in ihr drin.
    »Ich hab ’ne Bar«, sagte Hans, »’ne Cocktailbar.«
    »Ach, deswegen kennst du dich so aus.«
    »Wie meinst’n das?«
    »Was die Getränke angeht, Mister Rick.«
    »Mister Rick?«
    »Casablanca, Hans.«
    »Ist lange her, Miss Blume.«
    Sie fuhr mit der Hand über seinen Kopf. Er nahm ihre Hand und führte sie durch sein stoppeliges Gesicht. »All die Jahre bin ich nicht hier gewesen.« Er drehte sich auf den Rücken, blickte an die Decke ihres Schlafzimmers, ihre Hand immer noch in seinen Haaren.
    »Da hast du gewartet, damit du mich treffen kannst, was?«
    »Hätte ich gewusst, dass du da bist, wäre ich schon vor Jahren gekommen.«
    »Und warum bist du weggegangen?«
    »Das fragst du wirklich, Liv?«
    »Nein, nicht wirklich. Ich will nur wissen, wer mein Hans ist. Heute.«
    »Dein Hans?«
    »Entschuldige. Ich bin nur so froh, dass du jetzt da bist.«
    »Nichts zu entschuldigen, meine Liv. Ich kann mir grad nichts Besseres vorstellen. Kann mir überhaupt nichts Besseres vorstellen, jetzt gerade. Quatsche wahrscheinlich wieder Müll.«
    »Bist du verheiratet? Selbst wenn, spielt keine Rolle, ist mir egal. Entschuldige, spielt für mich jetzt keine Rolle, ist mit egal.«
    »Nein, bin ich nicht.«
    »Vielleicht bist du ein wunderbarer Lügner, ich will jetzt nur mit dir zusammen sein.«
    »Und ich mit dir. Das ist keine Lüge. Sonst würd ich’s dir sagen. Und …«
    »Halt den Mund, Hans, und komm her.«

    Er blickt ins Dunkel. Das ist sein zweiter seltsamer Traum. Seit er bei ihr schläft. Sein Handy hat er seit drei Tagen nicht eingeschaltet. Sie wird neben ihm wach. »Was’n los?«
    »Nichts, nichts. Schlaf weiter, Liv.«
    »Haste wieder schlecht geträumt?«
    »Was heißt hier wieder ?«
    »Ach, Hans.« Er spürt ihre Hand auf seiner Brust. Er trägt den Schlafanzug ihres Ex-Mannes. »Hatter nie getragen, wollte ich ihm zu Weihnachten schenken.«
    »’n Schlafanzug zu Weihnachten?«
    »Trägt sich doch aber gut.«
    »Hm, ja.«
    Er legt seine Hand auf ihre, spürt den Schweiß auf der Stirn und der Brust. »Willste nicht fragen?«
    »Was meinst’n?«
    »Na, was ich geträumt hab.«
    »Beim letzten Mal wolltstes nicht erzählen.«
    »Ich bin ins Werk gegangen. Ganz allein. Die ganze Stadt war leer. Es schneite … Schneit es draußen, Liv?«
    »Ich weiß nicht.« Er hört, wie sich die Decke bewegt, er steht auf, spürt die Kühle der Luft, er sieht sie vor den Gardinen stehen, sie trägt eins seiner Unterhemden, er kann sich nicht erinnern, wann sie sich das übergezogen hat, trug sie nicht ein kurzes Nachthemd, aber sie hatten den ganzen Abend Wein getrunken und gebumst. Sie war vierundvierzig und hatte seit drei Jahren mit keinem Mann mehr geschlafen. Sie zog die Gardinen zur Seite, die große weiße Fläche des Gartens hinter ihrem Haus, ein paar Schneeflocken trudelten durch die Luft, in der letzten Nacht hatte es draußen gestürmt, jetzt schien es windstill zu sein, sie drehte sich zu ihm, »Krümelt nur ein bisschen«, er blickte auf ihren Hals, sah ihre spitzen, etwas hängenden Brüste unter seinem Unterhemd, sie sah aus wie ein kleines Mädchen, als sie da so stand in der Helligkeit des Schnees, die Gardinen fielen wieder zu, und er sah nur noch die Umrisse ihres Körpers, und als sie wieder bei ihm lag, nahm er ihre Hand, wunderte sich wieder, wie rau und rissig die Innenflächen waren, streichelte diese Arbeitshand, die von den Pflanzen und Dornen und Nadeln zerstochen und rau geworden war in den langen Jahren, »Du hast so weiche Hände, Hans«, »Ach, uninteressante Hände, du hast schöne Hände, ich fühle das gern«, »Ach, hör auf«, er konnte spüren, wie sie lächelte, und er tastete in die Dunkelheit, bewegte die Hand in der Luft, strich über ihr Gesicht und ihren lächelnden Mund. »Und ich bin durch den Schnee gelaufen, barfuß, aber ich habe gar nicht gefroren, ich hatte eine kurze Lederhose an, ich glaube, dass ich so eine Hose als Kind manchmal trug, aber ich war kein Kind in meinem Traum. Ich lief über die beiden Brücken, auf der ersten bin ich lange stehen geblieben, und alles war in einem Dämmerlicht, große Dampflokomotiven standen auf

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