Im Stein
fing man schon an, sich da Gedanken zu machen. Also was das Geschäft betrifft. Oder die Geschäfte. Da war ja plötzlich ’n Riesenmarkt offen auf einmal. Da setzte die Völkerwanderung ein, also beidseitig. Plötzlich hatten wir die Ostpocken hier, da schlichen die bei uns ums Eck und wollten auch mal mit ’ner richtigen Hure, weil sowas gab’s ja bei denen nicht in all den Jahren. Aber das war nicht so, dass das uns plötzlich die Taschen vollgemacht hat. Na klar, ein bisschen schon. Da warn wir auch clever und haben da die Sondertarife fürs Begrüßungsgeld eingeführt. Da ist so manche Ostpocke auf der Bahnhofsmission gelandet, weil er nach ein, zwei Nummern vollkommen pleite war und nichtmal mehr ’ne Rückfahrkarte hatte. Oder die haben ihre Alte zu Karstadt geschickt und standen dann mit offenem Mund und offener Geldbörse im Bahnhofsviertel oder auf der Meile.
Aber da war mir schon klar, dass das viel besser in die andere Richtung laufen kann. Mit der Völkerwanderung, mit der Völkerverständigung. Und was da Anfang neunzig alles an Waren nach drüben in den Osten geflossen ist. Was wir denen alles für Nippes und Fresskram rübergeschleppt haben. Also jetzt nicht wir direkt, die gute alte Luden GmbH, nee, ich meine so Glücksritter und Geschäftemacher und alle möglichen Arten von Abziehern. Ein Bekannter von mir kaufte regelmäßig tonnenweise Joghurt auf, wo das Verfallsdatum fast rum war. Haben die eh nicht drauf geguckt in ihrem Wahn. Na klar, dachten die Kumpels und ich da gleich, dass wir da doch unsere Mädels rüberkarren müssten, die waren ja wenigstens frisch, und das meine ich jetzt nicht irgendwie respektlos. Der Kuchen-Klaus, ein Freund von mir, ein alteingesessener Zuhälter aus Bielefeld, hat sich ’nen kleinen Imbisswagen besorgt, Bouletten, Hotdogs, Pommes, der kannte sich ein bisschen mit sowas aus, weil er mal in ’ner Bäckerei gearbeitet hat in den Siebzigern, der suchte noch ’n zweiten Mann, und da bin ich das erste Mal rüber in den Osten gekommen. Die Claudi und die Rosie hab ich mitgenommen, der Rest der Kompanie blieb im Pott, was im Nachhinein ein Fehler war, weil ohne die Claudi ging’s da drunter und drüber bei den Mädels, eine war weg, als ich wiederkam. Der Klaus hatte zwei von seinen Mädels mit. Da sind wir dann durch die sächsische Provinz getingelt. Zwickau, Karl-Marx-Stadt, Mutzschen. Die Leute haben uns den Fresskram aus den Händen gerissen, Pommes rotweiß war der Hit in der Zone, und dass wir Mädels dabeihaben fürs Spezialmenü, hat sich schnell rumgesprochen. Das war noch vor der Währungsunion im Juni. Da hatten wir bündelweise Ostgeld, das wir dann eins zu zwei zurückgetauscht haben, der Klaus kannte da einen von der Sparkasse Bielefeld, also zumindest hatten wir das vor, die Kohle zur Sparkasse b. Da waren manchmal plötzlich paar tausend weg, Aber richtig ging der ganze Wahnsinn dann erst im Sommer los. Das mit dem Imbiss war uns dann doch zu anstrengend, die Mädels haben auch nur nach Frittenfett gerochen, weil mit der Braterei und der Fritteuse, das haben die dann doch besser hingekriegt als der Klaus und ich. Also haben wir den Imbiss verkauft, an wen und für wie viel kann ich heute gar nicht mehr sagen, das war in irgend ’ner Kneipe in ’nem Nest namens Altenburg, aber es gab ja auch an jeder Ecke da im Osten ’ne Imbissbude plötzlich, keine schnelle Mark mehr aufm Frittenmarkt, war ja auch nur so ’ne Idee gewesen, um unsere eigentlichen Geschäfte bisschen zu tarnen.
Also ich und der Klaus wieder zurück in Pott beziehungsweise der Klaus nach Bielefeld. Und wenn ich so an meine erste Ost-Tour zurückdenke, muss ich sagen, dass mir da die Zonen-Gabys, also die Ostpöckchen, richtig gut gefallen haben, eigentlich viel besser als unsere Ruhrpott-Uschis, weil die einfach natürlich waren, auch in der Art, wie die gequatscht haben, wie die ihren Körper immer selbstbewusst so straff und zugleich lässig … Und immer die Ruhe weg. Nix etepetete. Jetzt, wo seit Jahren immer diese ganzen Jubiläen sind, dieses ganze Abgefeier mit Abgeseier wegen der Wende und der Neuerschaffung Deutschlands, da denk ich oft dran, was das eigentlich für ’ne Welt da drüben war, damals. Ich meine, jetzt verfällt der Pott hier endgültig, mehr Stein als Sein, und im Osten glänzen die Investpaläste, aber damals waren wir die Einzigen, die da geglänzt haben. Die Häuser waren da teilweise so runter, dass ich gesagt hab, wenn wir da irgendwo ’n
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