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Im Stein

Im Stein

Titel: Im Stein Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Clemens Meyer
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Tabak runterfiel, vom Blättchen auf den Boden fiel. »Die Vorzüge des Tabaks, mein Freund, mein steinerner Gast«, Steffen ließ sich nicht aus der Ruhe bringen, legte neuen Tabak auf ein neues Blättchen, während das alte, zerknitterte, das er weggeworfen hatte, sehr langsam zwischen ihnen auf den Boden schwebte, »kennen sie schon seit Jahrhunderten. Pfeifen, Zigarren, Zigaretten, die das Wohlbefinden steigern. Die kleinen Gifte, die uns auf dem Weg zwischen diese Pforten begleiten.« Er zeigte mit seiner fertig gedrehten Zigarette auf das Flaschenzugsystem und die unterhalb der Decke verlaufende Schiene. Und auch auf die beiden schwarz-gelb bemalten ebenerdigen Schienenstränge vor den beiden Öffnungen, von denen er gesprochen hatte.
    »Ich lass mich nicht verbrennen«, sagte AK, »ein schöner großer Sarg.«
    »Ich hatte den Glauben verloren, Arnold.«
    »Den Glauben? Bist du unter die Christenmenschen gegangen? Wäre mir neu.«
    »Nein. Spar dir die Scherze. Den Glauben an meine Religion der Macht. Ich habe immer gedacht, wir …, also die Engel, wären die Speerspitze, die Ordnungsmacht.« Er rauchte, spuckte ein paar Krümel Tabak aus.
    »Und deswegen gehst du hin, gehst zu den Bullen und erzählst, verrätst deine Firma, verrätst all die Jahre, die du investiert und geopfert hast und geerntet, wie ich annehme.«
    »So einfach ist das nicht.«
    »Natürlich nicht. War es je einfach gewesen? Hast du mal Marx gelesen …?«
    »Was …?«
    »Nein. Hast du nicht. Du bist beim Hagakure und beim Sun Tsu hängengeblieben und diesem ganzen fernöstlichen Palaver. Was hast du dir vorgestellt, als du zu den Engeln gegangen bist, das große Abenteuer, die große Freiheit Nummer 7? Ich meine, du warst doch hier, vier, fünf Jahre, warst doch bei mir, wusstest doch, wie die Dinge laufen, wie der Markt rotiert.«
    »Was würdest du machen, wenn man dich reinlegt? Wenn man deinen Platz einnehmen will? Wenn sie dir Dinge in die Schuhe schieben, mit denen du nichts, aber auch gar nichts zu tun hast. Wenn sie dich rausdrängen wollen, dir alles wegnehmen, weil sie irgendeinem Arschloch glauben, das schnell nach oben will …«
    »Oben? Du warst ein Soldat, vielleicht ein Unteroffizier, aber immer noch ein Soldat. Im Dienste von … Wallensteins Feldlager. Alles, was du grad aufgelistet hast wie meine Sekretärin, ist hier und mir auch passiert. Im Osten und im Westen nichts Neues.«
    »Du stehst doch auch nicht schlecht mit den Bullen in deiner Stadt. Arnold Kraushaar, der Bullenversteher.« Er warf seine runtergerauchte Zigarette auf den Boden, trat sie mit der Schuhspitze aus. AK lehnte immer noch an der Säule und blickte ihn an. Wie lange war er schon hier unten? Zwanzig Minuten, eine Stunde? Ihr Gespräch schien ihm endlos zu sein, irgendwann vor langer Zeit begonnen zu haben. Zwei Spieler, sich fixierend, aber worum ging es? An der hinteren Wand des Raumes erkannte er ein System aus Rohren und Zylinder, aus denen die Rohre kamen, in die sie führten, Ventile, Drehknöpfe, Messuhren und unterhalb der Decke zwei größere nebeneinanderliegende Rohre, die von Wand zu Wand führten, die beiden Öffnungen und das Dahinterliegende mit etwas zu versorgen schienen, Feuer, Gase, Rauch abführten oder wechselweise zuführten, er verstand nichts von diesen Dingen, welcher normale Mensch kennt schon die Technik und die Funktionen eines Krematoriums, eines Flamariums, der Raum lag im Halbdunkel, pietätvoll , dachte er, war vorhin nicht mehr Licht gewesen? Er spürte, dass er schwitzte. Er war zu alt für diesen Scheiß. Er war neunundvierzig geworden vor etwas mehr als einem Monat. Er blickte immer noch auf dieses Aderwerk der Rohre. Spürte dann plötzlich den Plastikbecher in seiner Hand, den er fast zerdrückt hatte; als er trank, spürte er Cognac auf seiner Hand, ein kleiner Riss im dünnen, knackenden Kunststoff.
    »Wo waren wir stehengeblieben?« Hatten sie das tatsächlich beide gleichzeitig gesagt? Nein. Wohl eher nicht.
    »Ich habe gehört, dass sie dich weghaben wollen, Arnold. Dass die Engel nicht mehr hinter dir stehen. Dass er die Fäden ziehen will. Alleine. Keine Marktteilung mehr.«
    »Du erzählst nicht nur viel. Du hörst auch viel, viel Scheiße, wie es scheint. In deinem Loch. Ich sollte gehen. Und du, schließ die Türen gut zu, begrab dich hier unten, bleib unter der Erde. Ist besser für dich.« Er warf seinen leeren Becher vor die Öffnungen in der Wand, kurz wünschte er, er könnte sich

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