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Im Stein

Im Stein

Titel: Im Stein Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Clemens Meyer
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viel geplaudert vorher …«
    »Willst du was trinken? Ist ja sozusagen Feierabend für mich.«
    »Auf einmal so handzahm? Glaubst wohl nicht mehr, dass sie sich gleich auf dich stürzen werden, aus den Bäumen, hinter den Gräbern hervorkommen?«
    »Es wäre schon vorbei, wenn du es gewollt hättest, wenn du deswegen hier wärst. Warum nicht einmal an den Zufall glauben? Hast du Verwandte hier?«
    »Nein.«
    »Siehst du. Ein Ja hätte mich sicher zweifeln lassen.«
    »Vielleicht bin ich zu clever für dich.«
    »Schon möglich. Tritt ein, bring Glück herein.« Er zog ein großes Schlüsselbund aus der Tasche seines Kittels und öffnete die Tür.
    Sie durchquerten einen großen Raum, nur ein paar kleine Lampen an den Wänden gaben etwas Licht, Stuhlreihen, helle, schlichte, fast schon kahle Mauern, wieder öffnete der Bärtige eine Tür, die in eine Art Kuppelhalle führte, Bilder auf und in dieser großen blauen Kuppel, die so blau war, dass er erst glaubte, in den Himmel zu blicken, wenn da nicht die Bilder und Fresken gewesen wären, die er nicht genau erkennen konnte, die Stimme des Bärtigen vor ihm, Steffen, so hieß er, so war sein Name früher gewesen, »dieser Rundbau ist ein Abbild des Kosmos, soll das sein, ein Abbild des Kosmos, wie einen Tempel haben sie das damals gebaut, neunzehnhundertfünfzehn, allen Göttern, aber das wird dich nicht groß interessieren …« AK antwortete nicht. Er war sich nicht sicher, was ihn jetzt genau interessierte. Es war seltsam genug, hier zu sein. Steffen wiederzutreffen. Er wusste, dass der obligatorische Preis auf ihn ausgesetzt war. Die Lampenbauer leuchten hell in der Dunkelheit, dachte er. Und ob es nicht möglich wäre, dass er einen Tipp bekommen hatte und deshalb hier war? Aber von wem? Er war sich sicher, dass niemand wusste, dass Steffen hier war. Als Fremdenführer und Arbeiter im großen Flamarium, so hatte er diesen Ort der Toten, dieses Gebäude, das ein Krematorium zu sein schien, vorhin selbst genannt. Er hatte viel von ihm gehalten, hatte immer gedacht, dass das sein zweiter oder dritter Mann sein könnte.
    Ein Mann, der nicht so einfach wegzukriegen war. Der seine Kraft und seinen Einsatz zu kontrollieren wusste. Der damals aus einem der Dörfer um die Stadt herum gekommen war, ein junger Mann, ein Kampfsportler, Judo, Ringen, Kung Fu, der aber seinen Kopf nicht nur nutzte, um in der Schlacht Nasenbeine zu zertrümmern. Dem es auch um die Philosophie hinter alldem ging. Der wusste, dass dieses ihr Marktsegment ein sehr empfindliches war. Der das Hagakure las, als wäre es seine Bibel. Und das Sun Tsu. Das Buch über die Kriegskunst. Steffen hatte ihm das einmal gezeigt. Daran erinnerte sich AK jetzt, obwohl das fast fünfzehn Jahre her sein musste, und wunderte sich, dass er diese Vergangenheit nicht sofort erkannt hatte in dem bärtigen Gesicht. Ein anderer Mensch. Dieser da vor ihm. Wahrhaft siegt, wer nicht kämpft. Stand auf dem Einband der zerlesenen Kladde. Aber es war nicht so, dass Steffen diesen gut klingenden Spruch verinnerlicht hatte, denn kämpfen konnte er. Wenn es nötig war. Der bärtige Mann, der damals sein Gesicht nicht hinter einem Bart versteckte. Verharrt man aber in der Verteidigung, so offenbart man einen Mangel an Kraft und Stärke, greift man hingegen an, so zeigt man ein Übermaß an Kraft. AK hatte in diesem Buch gelesen, als Steffen verschwunden war. Es war nicht so, dass er einfach so wegging, er hatte sich abgemeldet, sozusagen, wollte nach Hannover, oder wollte er damals nach Kiel und ist dann später in Hannover gelandet? Die Bilder und Gespräche, die Erinnerungen an diese vergangenen Jahre kehrten langsam zurück. Der General, welcher erfahren in der Verteidigung ist, wird sich in den tiefsten Tiefen verstecken; jener aber, der den Angriff kennt, der fährt aus den höchsten Höhen des Himmels hernieder. So besitzen wir auf der einen Seite die Fähigkeit, uns zu schützen, und auf der anderen, einen vollständigen Sieg zu erringen.
    Er wusste nie, was er davon halten sollte. Steffen wollte zu den Engeln. Lange bevor die in die Stadt kamen. Und er hatte sich ins Netz begeben, Steffen, verschwand zwischen den Fäden (den Silberfäden , wer hatte das einmal gesagt?), in den Strukturen, kaufte sich ein, diente sich hoch, Kiel, Hannover-City, verlor sich, damals. So wie sein getreuer Alex jetzt. Das Kopfgeld kassieren? Für welchen Preis? Was konnten sie ihm bieten, was er nicht schon selbst erarbeitet hatte. In all den

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