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Im Stein

Im Stein

Titel: Im Stein Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Clemens Meyer
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sagst es! Zimmer, Miete, Kohle, Papierkram, Schutz. Hat alles seine Ordnung.«
    »Man darf nicht den Kopf verlieren. Das führt nur zu Chaos. Und Chaos, das weißt du …«
    »Ist nicht gut fürs Geschäft. Nur für den, der Chaos stiftet. Vorsätzlich. Hab ich von dir gelernt.«
    »Sag ich keinem sonst, dass mein Arsch auf der Schulbank. War früher ja anders. Lernen, lernen, nochmals lernen, so blöd das klingt.«
    »Lenin?«
    »Kann schon sein. Und wenn’s Karl Marx wäre. Wir sind nicht die Gewerkschaft, und wir schleppen keinen Schmarotzer mit.«
    »Können wir uns nicht leisten, was?«
    »Ist nicht unser Geld. Wir haben Tagesmiete. Aber da geht’s auch ums Prinzip. Da kommt Jenny, da kommt Moni, und die sagen, da ist dieser Typ …, da ist dieser Wichser, der zweigt ab.«
    »Wenn man’s so nimmt, könnt’s uns, also könnt’s dir egal sein …«
    »Nein, natürlich nicht.«
    »Natürlich nicht.«
    »Das Geschäftsmodell Miete kann nur so gehen und kann so nicht gehen! Dann kommt da einer, der sagt, dass sind meine Mädels, ich nehme fünfzig Prozent, oder was weiß ich, von deinen Mädels. Das sorgt für Stress im Betrieb. Das ist nicht Karl Marx, das ist nicht Erhard oder Keynes und auch nicht Lenin, das ist Scheiße, das ist unmodern!«
    Der Boden vibriert. Die Scheiben klirren. Geräusche auf der Straße, die sie nicht kennen. (»Du darfst eins nicht vergessen, Arnold, diese Typen sind nicht ganz sauber, die kommen aus ihrem Krieg hierher … Die haben die Hand am Abzug und wollen Geschäfte machen.«)
    Sie tragen den kleinen Mann, dass er den Boden nicht mehr berührt mit den Füßen. Schmeißen ihn wieder raus, weil der Boss jedes Mal sagt, dass sie ihn in Ruhe lassen sollen. »Der quatscht, der quatscht zu viel!«
    »Lasst ihn reden. Wir haben andere Sorgen. Oder denkt ihr, dass da was dran ist?«
    »Woran? Natürlich nicht.«
    »In wenigen Monaten stecken wir mitten in der Zweitausend. Wenn die Computer durchhalten. Wir halten durch. Wir brauchen Ruhe, die Märkte brauchen Ruhe … Wir lassen uns die Geschäfte nicht stören von irgendwelchen Wichsern.«
    »Wir fahren, wohin wir fahren?«
    »Weit und hoch.«

    Er beobachtet diesen Imbiss schon seit einigen Tagen.
    Zweitausendzehn. Er fühlt sich alt, fühlt sich müde. Sucht seit Jahren. Immer weiter, kleiner Reiter. Jemand hat ihm ein Foto gezeigt. Eine junge Frau. Wegen der Nase ist er sich nicht sicher. Ist das der kleine Knubbel kurz vor der Spitze, der Nasenspitze, dieser kleine Knubbel in der Mitte ihrer Nase? Sie müsste jetzt einunddreißig sein. Er ist in Berlin und beobachtet den Imbiss. Er hat sie schon am Abend vorher dort gesehen. Hat sich aber nicht getraut hinzugehen. Weil er denkt, dass sie es doch nicht ist. Weil er denkt, dass sie es ist. Er steht auf der anderen Straßenseite an einem Bauzaun. Er sieht den Mann hinterm Verkaufstresen. Er kann die Currywürste und Pommes frites riechen. Ob der Typ was damit zu tun hat? Die Mädels, die hier auf der Straße arbeiten, machen oft Pause bei ihm. Trinken einen Kaffee. Essen ein Brötchen oder eine Wurst. Manchmal denkt er, dass sie tot ist. Manchmal stellt er sich vor, dass sie irgendwann mit dem Zug nach Paris gefahren ist, sie wollte doch immer nach Frankreich, als sie noch klein war, seit er ihr vom großen Prix Arc de Triomphe erzählt hat, wo die besten Pferde und Reiter der Welt antreten und dem großen Millionen-Preisgeld entgegenfliegen. Als die Mauer fiel, hörte sie gar nicht mehr auf, von Paris, Frankreich zu erzählen. Da war sie erst zehn, und er nur noch besoffen. Der Imbiss ist rund um die Uhr geöffnet.
    Am Vorabend, als sie wieder weg war, in der Dunkelheit verschwand, Minirock, viel zu eng und kurz das alles, wo doch im Oktober die Nächte so kalt werden schon. Aber es ist Juni, und es regnet. Regnet seit zwei Tagen. Hat auch schon in seiner Stadt geregnet, als er in den Zug nach Berlin stieg.
    Seine Tochter trug keinen Minirock, sondern schwarze Stoffhosen und eine Bluse. Er ist vor paar Monaten über den Kurfürstendamm geirrt, weil er einen Tipp bekommen hatte, dass da ein junges Mädchen aus dem Osten, sogar aus seiner Stadt … »Aber sie ist nicht mehr so jung.«
    »Na ja, die kann auch schon dreißig sein, oder was weiß ich, könnte die sein, die du suchst.«
    Er weiß, dass er sein Geld verschwendet. Sie bringen ihm Tipps, und er bezahlt sie dafür. Er weiß, dass er bald pleite ist. Vielleicht kann er die Knarre verkaufen. Er hat schon einen original

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