Im Strudel der Gefuehle
mehr laut auszusprechen. Sie konnte sie hören, wenn sie den Zug um seinen Mund betrachtete oder seinen aufmerksamen Blick. Seine raubtierhafte Geduld zerrte wie ein eisiger Wind an ihren Nerven. Aber sie durfte nicht aufgeben; ganz gleichgültig, wie erschöpft sie auch war, wie unerträglich ihr neues Leben ihr erschien, wie verzweifelt und einsam sie sich auch in diesem fremden Land fühlte, in dem sie außer Wolfe keinen einzigen Freund hatte.
Wolfe, der wollte, daß sie aus seinem Land verschwand.
»Niemals«, schwor sich Jessica. »Du wirst schon sehen, Wolfe.
Irgendwann werden wir wieder zusammen lachen, singen und uns gegenseitig beim Schein des Lagerfeuers vorlesen. Wir werden wieder gute Freunde sein. Irgendwann wird es so kommen. Es muß einfach. Und wenn nicht...«
Jessicas Atem stockte. Es mußte einfach so kommen.
»Ich werde stark sein«, schwor sie sich. »Ich werde lernen. Was mich als Frau hier draußen im Westen erwartet, kann auch nicht viel schlimmer sein als das, was meine Mutter durchgemacht hat. Was kann schrecklicher sein, als mit einem schottischen Adligen verheiratet zu sein, der nichts weiter als einen Erben will?«
Das Geräusch des Windes steigerte sich zu einem unheimlichen Heulen, das wie der verzweifelte Schrei einer Frau klang, die sich vor Schmerzen windet. Jessica hielt sich die Ohren zu und begann, so laut sie konnte zu singen. Der Wind heulte unbeeindruckt weiter. Er heulte nur in ihrer Einbildung und nicht dort draußen, unter dem weiten Himmel des Westens.
Mit einem unterdrückten Schrei rannte Jessica aus der Küche. Sie schaute nach dem Kaminfeuer, legte Holz nach und ging dann ins Schlafzimmer, wo sie sehnsüchtig die große Badewanne betrachtete. Bei dem Gedanken an heißes Wasser und ein paar Tropfen duftendes Rosenöl liefen ihr wohlige Schauer über den Rücken. Früher war ihr nie klar gewesen, was für ein Luxus ein heißes Bad eigentlich war.
Das hatte sich gründlich geändert. Seit ihrer Ankunft hatte Jessica sich damit zufriedengegeben, sich vor dem Anziehen im Stehen mit einem Waschlappen zu waschen. Tagsüber war sie meist zu beschäftigt und abends zu erschöpft, um sich Badewasser von der Pumpe zu holen, es heiß zu machen und zur Badewanne hinüberzuschleppen.
Heute abend würde sie all diese Mühe auf sich nehmen, und wenn sie sich auf Knien zur Wanne schleppen mußte. Sie konnte es einfach keine Nacht länger ohne ein richtiges Bad aushalten.
Sehnsüchtig betrachtete sie Wolfes weiches, einladendes Bett. Doch sie konnte sich nicht dazu überwinden, sich auf die kostbare Decke aus
Fell zu legen, dreckig und verschwitzt wie sie war. Erschöpft sank sie gegen den Kamin, dessen Steine noch warm waren. Die schlaflosen Nächte, die sie auf ihrem unbequemen Lager hier am Kamin verbracht hatte, und die Tage, die mit harter Arbeit gefüllt waren, hatten ihr alle Kraft geraubt. Sie schlief bald ein.
Erschreckt fuhr sie aus dem Schlaf hoch, als sie Wolfes Stimme von draußen hörte. Das erste, was sie sah, war eine Rauchwolke, die unter der Zimmerdecke hing. Die Wolke bewegte sich auf das offene Fenster zu.
»Jessi! Antworte! Wo bist du?«
Ihr erster Versuch, sich aufzurichten, schlug fehl, weil ihre überarbeiteten Arme ihr den Dienst verweigerten. Ihr zweiter Versuch glückte.
»Wolfe?« rief sie mit schläfriger Stimme.
Die Vordertür flog auf, und Wolfe stürmte herein. Er sah besorgt
aus.
»Jessi, ist alles in Ordnung?« rief er und schaute zur Küchentür hinüber, aus der dicke Rauchwolken quollen.
»Mir geht’s gut«, sagte sie.
Wolfe wirbelte herum und sah Jessica in der Schlafzimmertür stehen. Ihr Haar war aufgelöst, und unter ihren großen Augen zeichneten sich dunkelrote Ränder ab. Er schloß die Augen und seufzte erleichtert. Seine schlimmsten Ängste hatten sich als unbegründet erwiesen.
»Wolfe, was ist los?«
Seine Augen verengten sich mißtrauisch. Er sah direkt ein wenig gefährlich aus. »Ich dachte, das Haus brennt mit dir zusammen ab.«
»Brennt - o Gott, die Koteletts!«
Wolfe folgte Jessica in die Küche. Als sie nach der Pfanne griff, schlug er ihre Hand beiseite.
»Nein, so bekommst du nur eine Brandblase.«
Er ging ins Wohnzimmer und kam mit dem Kaminbesteck zurück. Mit Hilfe des Kaminhakens gelang es ihm, die fröhlich vor sich hin schmurgelnden Koteletts aus der Pfanne zu holen. Er stellte die qualmende Pfanne im Sand neben der Hintertreppe ab.
Hinter seinem Rücken stieß Jessica einen tiefen Seufzer aus.
Weitere Kostenlose Bücher