Im Strudel der Gefuehle
dem Gedanken an den leisen, nächtlichen Besucher mußte Jessica trotz ihres ständigen Muskelkaters lachen. Sie schüttelte ihr Kleid aus, das inzwischen nicht mehr viel Ähnlichkeit mit ihrer vornehmen Reisekleidung hatte. Der Rock war einmal genauso aquamarinblau gewesen wie ihre Augen, aber das war längst vorbei. Statt dessen sah der Stoff jetzt aus, als hätte man ihn durch den Schlamm unten am Teich gezogen; besonders dort, wo sie auf den Steinfliesen in der Küche herumgerutscht war oder sich auf den Holzfußboden im Schuppen gekniet hatte, um besser an den Waschzuber heranzukommen.
»Verflixt und zugenäht«, murmelte sie. »Ich hätte nicht meine eigenen Kleider, sondern die meiner Putzfrau aus England mitbringen sollen.«
Sie ging zum Herd, machte die Klappe mit einem Metallhaken auf und schaute hinein. Wie immer fehlte es an Feuerholz. Dasselbe galt bestimmt auch für den Kamin im Wohnzimmer, der so gebaut war, daß er gleichzeitig das Schlafzimmer beheizte. Diese Konstruktion hatte sie schon immer fasziniert. Man konnte erkennen, wie geschickt und einfallsreich der Maurer gewesen sein mußte, der sie sich ausgedacht hatte. Sie war überrascht, als sie erfuhr, daß Wolfe ihn selbst gebaut hatte.
Jessica war so damit beschäftigt, zwischen Kamin und Herd hin- und herzulaufen, daß sie gar nicht zum Kochen kam. Während sie das Feuer im Kamin anfachte, stellte sie einige Eimer mit Badewasser zum Anwärmen neben den Herd.
»Verdammt noch mal«, murmelte sie jedesmal, wenn ihr das Messer aus den ungeübten Händen rutschte. »Heute abend werde ich Wolfe überraschen. Heute abend gibt es Bratkartoffeln, Schweinekoteletts und Kirschen aus der Büchse. Damit kann wohl nicht viel schiefgehen.« Jessica seufzte. »Hoffentlich muß ich mir heute abend nicht Wolfes Loblieder auf Willows Kochkünste anhören.«
Jessica führte bei der Arbeit ständig Selbstgespräche. Sie hoffte, damit das Heulen des Windes zu übertönen. Das klagende Geräusch ging ihr durch und durch. Sie war dankbar, als das brodelnde Wasser seinen Teil zu der Geräuschkulisse in der Küche beitrug.
Bald schon verdrängte der Geruch der kochenden Kartoffeln den Gestank nach Seife, der sich nach dem Schrubben der Fliesen immer noch in der Küche hielt. Das Scheppern der gußeisernen Pfanne, als sie sie auf den Herd wuchtete, und das Brutzeln der Koteletts, als die Pfanne heiß genug war, war wie Musik in ihren Ohren.
Trotz der Erschöpfung, die sich überall in ihrem Körper auszubreiten begann, summte Jessica leise vor sich hin, während sie die Pumpe anwarf und einen riesigen Suppentopf mit Wasser füllte. Auf dem Weg zum Herd verschüttete sie beinahe ein Viertel des Inhalts, aber das machte ihr nichts aus. Die acht Liter im Topf waren immer noch schwer genug. Sie machte die Herdklappe auf, legte noch ein paar Scheite Feuerholz nach und schlug die Klappe wieder zu.
»Was jetzt ?« fragte sie sich, während sie in Gedanken ihre Liste durchging. »Ach ja, der Tisch muß noch gedeckt werden. Noch ein Stück Stoff, das ich nach dem Gebrauch zuerst waschen, dann zum Trocknen aufhängen und dann in den großen Stapel zum Bügeln packen muß. Wie gut, daß Wolfe nach dem ersten Hemd nicht mehr darauf bestanden hat, daß ich noch mehr von seinen Hemden bügele. Woher soll ich auch wissen, daß Baumwolle so schnell anbrennt?«
Jessica ging zum Küchenschrank, fuhr liebevoll mit der Hand über das sorgfältig verarbeitete Holz und zog eine Schublade heraus. Zu ihrer Erleichterung fand sie eine frische Tischdecke. Die Tischdecke von gestern abend war bereits in der Wäsche. Wolfe hatte einen Schluck ihres Kaffees getrunken und ihn sofort wieder unter wildem Fluchen ausgespuckt. Dann hatte er sie gefragt, ob sie vorhatte, ihn zu vergiften.
Jessica schloß die Augen und versuchte sich vorzustellen, wie sie eines Tages mit Wolfe zusammen über diese Ereignisse lachen würde. Bis dahin durfte sie allerdings nicht vergessen, immer hübsch zu lächeln, und mußte zusehen, daß sie Wolfe keinen Anlaß zur Beschwerde bot.
Sie hatte keine andere Wahl. Jedesmal wenn ihr Lächeln für einen Moment erstarb oder sie Anzeichen von Ermüdung zeigte, drehte sie sich um und sah, daß Wolfe sie beobachtete. Er nahm jedes Zeichen von Schwäche sorgfältig zur Kenntnis und wartete nur auf den Moment, in dem sie endlich aufhörte, so zu tun, als hätte sie hier im Westen etwas zu suchen.
Ein Wort von dir genügt, Jessica.
Wolfe brauchte die Worte nicht einmal
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