Im Strudel der Gefuehle
»Glaubst du, das Stinktier hat vielleicht heute mehr Hunger als gestern abend?«
Wolfe ließ sich viel Zeit, bis er sich umdrehte. Er wußte nicht, wie lange er sich das Lachen noch verkneifen konnte. Auch er hatte sich gefragt, ob das Stinktier auf die Dauer Jessicas Kochkünsten gewachsen sein würde.
Doch auch wenn Jessi in diesem Moment geradezu unwiderstehlich wirkte, wagte Wolfe es nicht, vor ihren Augen unbeschwert zu lachen. Es war viel zu einfach, sich nicht länger zusammenreißen zu müssen: ja, am Ende hätte er sich vielleicht sogar daran gewöhnt. Jedesmal wenn er nicht auf der Hut war, fühlte sie sich nur in ihrem Glauben bestätigt, daß sie ihn von ihrer Sache überzeugen konnte. Das durfte er nicht zulassen. Das durfte niemals geschehen. Er würde sich nie mit dieser Scheinehe abfinden, was wiederum bedeutete, daß alle Freundlichkeiten Jessica gegenüber nur eine Art versteckter Grausamkeit waren. Freundlichkeit würde nur dazu führen, daß es länger dauerte, bis Jessica die Sinnlosigkeit ihrer Ehe einsehen würde.
Wolfe wollte diesen qualvollen Prozeß um keine Sekunde in die Länge ziehen. Er wußte nicht, wie lange er sich noch beherrschen konnte. Irgendwann würde er Jessica unversehens in seinen Armen wiederfinden.
Als er sich diesmal nach Jessica umdrehte, war sein Gesicht wieder vollkommen ausdruckslos.
»Und was bekommt das Stinktier heute sonst noch zum Abendessen?« fragte er mit beherrschter Stimme.
Jessica lächelte mit grimmiger Entschlossenheit. »Nichts weiter. Die Kartoffeln haben genug Wasser zum Kochen und die Büchse Kirschen habe ich noch gar nicht aufgemacht.«
»Dose.«
»Wie bitte?«
»Hier im Westen sagt man >eine Dose Kirschen«. Nur in England ist es eine >Büchse Kirschen«.«
»Oh.«
Wolfe konnte genau sehen, wie sich Jessica in Gedanken Notizen machte, damit sie beim nächsten Mal diese sprachliche Besonderheit berücksichtigen konnte. Sie war dabei, die letzten Eigenarten ihres britischen Akzents abzulegen; genauso wie sie sich vorher alles abgewöhnt hatte, was an ihre schottische Muttersprache erinnerte. Genau wie Wolfe hatte sie schon als kleines Kind gelernt, wie wichtig es ist, sich anpassen zu können. So wie sie nichts daran ändern konnte, daß ihre Mutter eine Schottin von bürgerlicher Herkunft war, hatte auch Wolfe auf die Umstände seiner Geburt keinen Einfluß. Was Kleidung und Sprache anging, konnte Wolfe sich jedoch bestens an seine Umgebung anpassen.
Nur wenige Menschen machten sich die Mühe, hinter seine äußere Erscheinung zu schauen, was ihn nicht weiter störte. Es erlaubte ihm, sich frei zu bewegen und zu tun, was ihm gerade in den Sinn kam. Er fragte sich oft, ob Jessica hinter ihrer Fassade wohl ein ähnliches Maß an persönlicher Freiheit gefunden - und schätzengelernt - hatte. Es hätte ihn nicht überrascht.
Diese Vorstellung war nicht gerade sehr angenehm. Aus genau diesem Grund würde sie sich nur noch entschlossener dagegen wehren, ihre Ehe für ungültig erklären zu lassen. Die Bewahrung ihrer eigenen Freiheit beruhte immerhin auf demselben Umstand, von dem Wolfes Freiheit eingeschränkt wurde.
Jessica ging an ihrem schweigenden Mann vorbei in die Küche. Als er ihr folgte, sah er, daß die kleinen Knöpfe an der Rückseite ihres Kleides nicht richtig geschlossen waren. Entweder war sie nicht an die Rückseite ihres Kleids herangekommen, oder sie hatte beim Zuknöpfen die Reihenfolge der Knöpfe durcheinandergebracht.
Erneut stieg eine Welle kalter Wut in Wolfe auf. Hier war ein weiterer Beweis, daß Jessica nicht einmal dann von ihm angefaßt werden wollte, wenn sie beim Zuknöpfen dieses unmöglichen Kleides seine Hilfe gebraucht hätte. Obwohl er sich eigentlich glücklich schätzen sollte, daß sie nicht versuchte, ihn zu verführen, um ihre Ehe - und damit sein Schicksal - zu besiegeln, störte es ihn doch gewaltig, daß sie alles nur Denkbare unternahm, damit er sie nicht berühren mußte.
Du verdammte kleine Nonne! Warum hast du dir ausgerechnet mich ausgesucht, wenn du jemanden mit diesem vollkommenen Körper in Versuchung führen willst ?
Aus den Augenwinkeln beobachtete er Jessica dabei, wie sie die Küchentür aufmachte, um den Rauch abziehen zu lassen, bevor sie sich um die Kartoffeln kümmerte. Sie hob den Deckel und schaute in den Topf.
»Verdammt!« sagte sie verzweifelt. »Wohin sind sie verschwunden?«
»Wohin ist was verschwunden?«
»Die Kartoffeln.«
Wolfe schaute über Jessicas Schulter in
Weitere Kostenlose Bücher