Im Strudel der Gefuehle
daß dunkle Schatten am Grund ihrer hellblauen Augen lauerten.
»Sind Sie hier, um Vorräte einzukaufen?« fragte er.
»Ja. Wolfe wollte Pferde kaufen; ich glaube, die Rasse nennt man >Montana<. Die sind wohl ziemlich kräftig, wie ich höre. Kräftig genug, um mit den Schneewehen oben auf dem Paß fertig zu werden.«
Rafes graue Augen weiteten sich ungläubig. Man sah ihm an, daß er sich um sie Sorgen machte. »Westlich von hier liegt nichts als unzugängliche Wildnis. Kaum der passende Ort für jemanden wie Sie.«
»Waren Sie schon einmal in Schottland?« fragte Jessica mit Grabesstimme.
Er schüttelte den Kopf.
»Sie sollten mal den Winter dort erleben«, sagte sie, »wenn die Sturmböen vom Polarkreis heruntergefegt kommen. Dann können Sie Zusehen, wie sich turmhohe Wellen an schwarzen, eisbedeckten Klippen brechen. Selbst die Schafe, die sich in den Windschatten einer massiven Steinmauer stellen, erfrieren noch; und das trotz ihrer dicken Wolle. Und beim Menschen geht das noch viel schneller.«
»Sind Sie dort geboren?« fragte Rafe. Die finsteren Erinnerungen, die über Jessicas angespanntes Gesicht huschten, sprachen Bände.
»Ja.«
»Wie dem auch sei, Ma’am, Sie sehen jedenfalls im Moment ziemlich mitgenommen aus. Ich hoffe, Ihr Mann irrt sich, was die Paßstraße angeht. Ein paar Nächte Schlaf täten Ihnen bestimmt gut.«
Jessica lächelte zustimmend, obwohl sie genau wußte, daß sie auch in dieser Nacht nicht viel besser schlafen würde als in all den anderen Nächten seit dem schrecklichen Streit mit Wolfe.
Er hatte keinen einzigen Schritt nachgegeben. Auch wenn sie sich
Mühe gegeben hatte, ihm eine gute Freundin zu sein, behandelte er sie weiterhin wie seinen schlimmsten Feind oder wie eine gemeine Verräterin, die ihn hintergangen hatte.
»Mein Mann hat mir versichert, daß die Pässe frei sind«, sagte sie zu Rafe.
»Hat er mit einem von den Goldgräbern gesprochen?«
»Nein. Er hat auf dem ganzen Weg von seinem... von unserem Haus bis hierher die Gipfel beobachtet. Als er sah, daß der Neuschnee oben auf den Hängen sich nicht gehalten hat, wußte er, daß der Paß frei ist. Wir reisen ab, sobald wir hier in Canyon City alles erledigt haben.«
»Und er ist sich seiner Sache absolut sicher?«
Jessica warf Rafe einen überraschten Blick zu. »Sie haben Wolfe doch kennengelernt. Hatten Sie den Eindruck, daß er jemand ist, der nicht weiß, wovon er redet?«
Lachend schüttelte Rafe den Kopf. Er erinnerte sich noch sehr gut daran, wie gekonnt Wolfe mit dem Gewehr umgegangen war; wie die Spielkarten waren die Männer zu Boden gegangen, einer nach dem anderen. Der unbarmherzige Rhythmus von Wolfes Schüssen hatte nicht einmal für eine Sekunde gestockt.
»Nein, Ma’am. Sie haben einen harten Kerl geheiratet.«
Jessicas Lächeln verflüchtigte sich und verschwand schließlich ganz.
»Verstehen Sie mich nicht falsch«, fuhr Rafe fort. »Ich wollte damit niemanden beleidigen. In der Wildnis ist ein harter Kerl das Beste, was einem passieren kann; ganz egal, ob es der eigene Bruder, der Ehemann oder nur ein guter Freund ist.«
Rafe schaute wieder aus dem Fenster. Eine Gruppe von Männern, die vor einem der drei Saloons auf der Hauptstraße herumgelungert hatte, war langsam zu der Kutsche hinübergeschlendert, auf deren Ladefläche ein Damensattel und ein Sack Getreide lagen.
»Ma’am, ist Ihr Mann drüben im Saloon?«
»Nein. Er hält nicht besonders viel von dem Whiskey, der hier gebrannt wird.« »Ein kluger Mann. Vor dem Fusel aus Taos hat mich Matt bestimmt genauso oft gewarnt wie vor den Ute-Indianern.«
»Matt?«
»Matthew Moran.« Als Jessica vergeblich zu überlegen schien, setzte Rafe erklärend hinzu: »Haben Sie den Namen schon einmal gehört?«
»Ich weiß nicht genau.«
»Und wie steht es mit Caleb Black? Seine Freunde nennen ihn Cal.«
»Ach ja«, sagte Jessica und versuchte, sich ihre Verbitterung nicht anmerken zu lassen, »diesen Namen habe ich schon einmal gehört. Die verflixte Traumfrau.«
»Das kann ich nicht beurteilen«, sagte Rafe amüsiert. »Ich hatte noch nie persönlich das Vergnügen.«
»Nicht Caleb. Seine Frau. Wolfe hört nicht auf, mir zu erzählen, daß sie die Frau seiner Träume ist.«
»Dann muß ich wohl einen anderen Caleb Black meinen. Man kann ja einiges über Willy sagen, aber eine Traumfrau ist sie nun wahrhaftig nicht.«
»Willy?«
»Willow Moran. Wenigstens hieß sie früher so - Moran. Jetzt heißt sie Willow
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