Im Strudel der Gefuehle
und sie verlor das Gleichgewicht.
Plötzlich erklang ein Knall, als wenn jemand eine Waffe abgefeuert hätte, gefolgt von einem schrillen Schrei. Der Griff um ihren Arm lockerte sich. Aus den Augenwinkeln sah Jessica, wie Rafe auf sie zugelaufen kam und dabei mit tödlicher Präzision nach allen Seiten Peitschenhiebe austeilte. Sie sah, wie sein linker Arm sich kurz bewegte und die lange Peitsche plötzlich vorschnellte. Dann erklang noch einmal derselbe Knall wie zuvor. Neben ihr sprang plötzlich der Hut eines ihrer Angreifer in die Luft und zerfiel in zwei Teile. Blut spritzte aus einer Wunde über dem Auge des Mannes.
Im selben Moment griffen die Männer plötzlich unter die Mäntel.
»Vorsicht, sie sind bewaffnet!« rief Jessica.
Sie schlug mit aller Kraft mit ihrer Peitsche nach einem der Männer, aber sie wußte genau, daß sie damit nicht viel ausrichten konnte. Fünf Männer waren unverletzt, vier weitere kamen aus dem Saloon, und alle waren sie bewaffnet.
»Runter!« rief ihr Rafe zu.
Jessica hörte ihn kaum, während sie wild mit der Peitsche um sich schlug.
Rafe holte noch einmal aus, doch diesmal wickelte sich der Lederriemen nur behutsam um Jessicas Handgelenk. Dann riß er sie mit aller Kraft zu sich herüber. Sie stürzte vom Kutschbock und fiel direkt in seine Arme, während überall um sie herum geschossen wurde. Jessica konnte kaum etwas von der ganzen Schießerei sehen, weil sie die ganze Zeit zwischen Rafes schwerem Körper und der Kutsche eingeklemmt war.
Was sie jedoch erkennen konnte, versetzte sie in Staunen. Wolfe stand vor den Ställen am anderen Ende der Straße in gut siebzig Meter Entfernung. Einen nach dem anderen nahm er sich die Männer vor. Nur wenn er nachladen mußte, ließ der Kugelhagel für eine Sekunde nach. Querschläger prallten jaulend von der Kutsche ab. In wenigen Sekunden trieb das tödliche Schauspiel die Männer auseinander.
Alles, was die Männer vor dem sicheren Tod bewahrte, war Jessica, die sich irgendwo in diesem Durcheinander befand.
»Schießen kann er, der Hurensohn«, sagte Rafe bewundernd.
Für einen Moment trat Stille ein.
»Jessi!« rief Wolfe.
»Es ist alles in Ordnung!« antwortete sie.
»An eurer Stelle, Jungs«, sagte Rafe freundlich, »würde ich Zusehen, daß ich mich so tief wie möglich in den Schlamm eingrabe, bevor Lonetree nachladen kann.«
Rafes guter Rat erwies sich als angebracht, als Wolfe das Gewehr gegen den Karabiner eintauschte und das Feuer eröffnete. Die Männer, die noch keine Deckung gesucht hatten, warfen sich kopfüber in den Schlamm.
»Halten Sie sich gut an der Kutsche fest«, sagte Rafe.
Blindlings packte Jessica eine Planke und klammerte sich daran fest.
Rafe ging ein paar Schritte zurück, bis er alle Männer genau sehen konnte.
»Schön, die Köpfe unten lassen, Jungs, wenn ihr sie nicht verlieren wollt.«
Das war alles, was Rafe sagte. Mehr brauchte er auch nicht zu sagen, denn die Peitsche in seiner Hand tanzte wie eine Viper über den Männern, zog an ihren Mänteln und Hüten und biß in jeden Finger, der sich vorsichtig an eine versteckte Pistole heranzutasten versuchte. Das scharfe Knallen war verstummt; nur ein nervenzermürbendes Zischen und Fauchen war zu hören, wann immer die Peitsche ihr Ziel traf.
Einer der Männer stöhnte und bekreuzigte sich.
»Gute Idee«, sagte Rafe aufmunternd. »Es ist nie zu spät, sich dem lieben Gott zuzuwenden.«
Mit dem Karabiner in der Hand kam Wolfe angelaufen. Der Junge aus dem Laden trug ihm das Gewehr hinterher. Wolfe ließ sich Zeit, die verängstigten Männer genau zu betrachten. Er drehte sie mit der Stiefelspitze um und prägte sich ihre Gesichter genau ein. Als sie ihm in die Augen starrten, begriffen sie, daß sie noch nie zuvor dem Tod so nahe gewesen waren.
Nachdem sich Wolfe auch das letzte Gesicht eingeprägt hatte, trat er einen Schritt zurück. »Wenn ich einen von euch noch einmal in der Nähe meiner Frau entdecke, bringe ich ihn um.«
Jessica hatte nicht den geringsten Zweifel an Wolfes Worten. Obwohl sie sein Verhalten brutal und widerwärtig fand, mußte sie zugeben, daß er keine andere Wahl gehabt hatte. Instinktiv spürte sie, daß diese Männer, die nichts weiter von ihr wußten als ihren Namen, kein Mitleid mit ihr gehabt hätten.
»Ich werde jetzt bis zehn zählen«, kündigte Wolfe an. Seine Stimme klang vollkommen unbeteiligt. Während er sprach, lud er den Karabiner nach. »Jeder, der immer noch zu sehen ist, wenn ich fertig bin,
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