Im Sturm der Leidenschaft (German Edition)
Charlotta eine ganze Weile brauchte, um ein Ding von einem anderen zu unterscheiden.
Ein Käfig aus Holzlatten diente als Arrestzelle. Auf dem Boden lagen einige stinkende Decken, ansonsten war der Verschlag kahl und leer.
Die Männer lösten eine dicke Eisenkette, öffneten die Lattentür und stießen Charlotta so grob in den Verschlag, dass sie taumelte und zu Boden stürzte. Schon rasselte hinter ihr die Kette, schon schnappte das Schloss ein und die Männer entfernten sich mit schweren Schritten.
»Bem vindo – herzlich willkommen in diesem gemütlichen Heim«, sagte eine Stimme neben ihr und Charlotta erkannte die Stimme Suleikas.
»Zwei Tage Arrest wegen Schlafens während der Arbeit?«, fragte Charlotta.
Suleika nickte: »Zwei Tage bei Wasser und Brot und zusammen mit meiner ärgsten Feindin, vor der ich mich fürchte wie vor sonst nichts auf der Welt.«
Charlotte kicherte: »Habt Ihr dem Kapitän etwa dieselbe Komödie vorgespielt?«
»Wenn man einmal erkannt hat, wie er denkt, ist es leicht, in dahin zu dirigieren, wo man ihn hinhaben will.«
Suleika saß auf dem Boden des Verschlages und lehnte mit dem Rücken an der Wand. »Kommt, setzt Euch zu mir.«
Charlotta ließ sich nieder, doch als sie direkt vor Suleika hockte, betrachtete diese ihren Hals und fuhr mit dem Finger leicht über die roten Abdrücke, die Dom Pedros Hände auf ihr hinterlassen hatten.
»Was ist passiert? Hat er Euch geschlagen?«
Erneut stiegen Tränen in Charlottas Augen. »Er will mich töten, sobald ich ihm nicht mehr von Nutzen bin. Ich glaube zwar nicht, dass Corvilhas das fertig brächte, denn er ist viel zu feige, doch allein seine Worte haben mich tief gekränkt.«
»Habt Ihr Angst?«
Charlotta schüttelte den Kopf.
»Er ist brutal und rücksichtslos. Sein Herz kennt keine Gnade, doch geht seine Bosheit wohl nicht so weit, dass er jemanden töten könnte.«
»Ich werde Arabinda sagen, dass er auf Euch aufpassen soll. Er ist ein tapferer Kämpfer und verfügt über ungeahnte Kräfte. Dazu ist er klug und gewandt. Er wird dafür sorgen, dass Euch kein Leid geschieht.«
»Arabinda ist Euch sehr ergeben, nicht wahr?«
»Er ist der beste Diener, den man sich wünschen kann. Treu ist er und mir in Liebe zugetan.«
»Er liebt Euch? Und Ihr? Liebt Ihr ihn auch?«
Suleika nickte. »Ich liebe ihn wie einen Bruder. Er ist mir Gefährte, Vertrauter und vor allem Lehrer.«
»Was lehrt er Euch?«
Suleika lachte leise. »Die Kunst des Tantras.«
»Tantra? Was ist das?«
»Der Begriff stammt aus dem Sanskrit, der altindischen Schriftsprache, und bedeutet soviel wie »innerstes Wesen« oder »Essenz«. Einst wurden in zahlreichen Schriften die Rituale des Tantras zusammengefasst. Diese Schriften erzählen von einem Gespräch zwischen Shiva, der männlichen Gottheit der Buddhisten, und seiner Geliebten. Arabinda kommt aus einem indischen Gebiet, welches man Assam nennt. Dort ist diese Religion zu Hause.«
»Ist dieses Gespräch des Shiva religiösen Inhalts?«, fragte Charlotta.
Suleika lachte. »Nicht so, wie sich Christen das vorstellen. Tantra steht für eine bestimmte Lebensweise, die auf die harmonische Entwicklung des ganzen Menschen, auf Körper, Geist und Seele zugleich ausgerichtet ist. Für einen Tantrika gibt es keine Trennung von Fleisch und Geist. Alles ist heilig. Die einzige Sünde, die Tantra kennt, ist die, anderen Menschen oder sich selbst Leid zuzufügen. Tantra hat Ehrfurcht vor dem Leben.«
»Ich sehe noch keinen großen Unterschied zum Christentum«, erklärte Charlotta.
»Aber den gibt es. Tantra ist eine alte indische Lehre, die sich in besonderem Maße mit der Geschlechtlichkeit auseinander setzt. Es ist, kurz gesagt, die hohe Kunst der Liebe.«
»Sprecht Ihr von der göttlichen Liebe?«
»Ich spreche von der Liebe zwischen Mann und Frau und den besten Wegen, eine glückliche, spirituelle Partnerschaft zu erleben, die mit den Gesetzen der Gottheiten in Einklang steht. Der Akt der Liebe gilt uns als Gottesdienst, als spiritueller Akt jenseits der Wollust.«
»Ihr ... Ihr meint, Arabinda unterweist Euch in der Kunst des Liebens?«
Charlotta wusste nicht, ob diese Tatsache sie bestürzen oder neidisch machen sollte.
»Ja. Genauso ist es.«
»Müsst Ihr denn nicht als Jungfrau in die Ehe gehen?«
»Die geschlechtliche Vereinigung ist nur eine Spielart der Liebe. Es gibt noch zahlreiche andere.«
»So?«, fragte Charlotta. »Welche denn? Erzählt mir von der Kunst der Liebe. Erzählt mir,
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