Im Sturm des Lebens
Sie presste sich die Faust aufs Herz. »Hast du gedacht, ich hätte es nicht schon vorher gespürt?«
»Sophie.« Er stützte sich auf die Motorhaube. »Ich glaube, dass du alles Mögliche spürst. Aber ich weiß auch, dass man manche Gefühle bei all den Sorgen und den, nun ja, den alltäglichen Problemen zuschütten kann. Wenn man sich zu sehr auf die alltäglichen
Probleme konzentriert, entgeht einem das große Bild.«
»Deshalb hast du mich also aus dem Penthouse in Venedig herausgelockt, damit ich das große Bild sehe.«
»Zum Teil. Es ist Blütezeit, Sophie. Was auch sonst noch los sein mag – es ist Blütezeit! Und die wirst du doch nicht verpassen wollen.«
Er trat zum Kofferraum und öffnete ihn.
»Ist das eine Metapher?«, fragte sie, während sie neben ihn trat und Tyler beiseite drängte, um ihren Laptop selbst herauszuholen.
»Ich bin bloß ein Bauer. Was weiß ich schon von Metaphern?«
»Nur ein Bauer, du meine Güte!« Sie schlang sich den Riemen des Laptops über die Schulter und griff nach ihrer Aktentasche.
Tyler zog seinen Koffer heraus und musterte dann ihren voller Abscheu. »Warum ist dein Koffer zweimal so groß wie meiner und dreimal so schwer? Ich bin doch viel größer als du.«
»Weil –«, sie klimperte mit ihren Wimpern – »ich ein Mädchen bin. Wahrscheinlich sollte ich mich bei dir entschuldigen, dass ich so gemein zu dir war.«
»Warum?« Er hievte ihren Koffer heraus. »Du würdest es ja doch nicht so meinen.«
»In gewisser Weise würde ich es ehrlich meinen. Komm, ich helfe dir.« Sophia ergriff ihren kleinen Kosmetikkoffer und ging langsam auf das Haus zu.
Pilar öffnete der Polizei die Haustür. Zumindest dieses Mal hatte sie die Beamten erwartet. »Detective Claremont, Detective Maguire, danke, dass Sie gekommen sind.«
Sie führte sie in den Salon.
»Ein wunderschöner Tag für eine Autofahrt«, begann sie die Unterhaltung. »Aber ich weiß, dass Sie beide sehr beschäftigt sind, deshalb bin ich Ihnen besonders dankbar, dass Sie sich die Mühe gemacht haben, hierher zu kommen.«
Pilar hatte schon Kaffee und Kekse bereitgestellt und trat zum Servierwagen, sobald die Polizisten sich gesetzt hatten. Claremont und Maguire wechselten hinter ihrem Rücken einen Blick, und Maguire zuckte mit den Schultern.
»Was können wir für Sie tun, Mrs. Giambelli?«
»Ich hoffe, Sie können mich beruhigen. Was eigentlich nicht Ihre Aufgabe ist.« Pilar schenkte den Kaffee ein und beeindruckte Maguire damit, dass sie noch wusste, wie sie ihn nahmen.
»In welcher Hinsicht möchten Sie denn beruhigt werden?«, fragte Claremont.
»Ich weiß, dass Sie und Ihre Abteilung mit den italienischen Behörden in Kontakt stehen.« Pilar setzte sich ebenfalls, rührte aber ihren Kaffee nicht an. Sie war schon nervös genug. »Wie Sie vielleicht wissen, verfügt meine Mutter dort über einen gewissen Einfluss. Lieutenant DeMarco hat ihr so viele Informationen wie möglich gegeben. Ich weiß, dass mein Cousin gestern Jeremy DeMorney angerufen hat, und dass Jerry die New Yorker Polizei von dem Anruf unterrichtet hat. Jerry hat sogar meinen Stiefvater angerufen, um es ihm selbst mitzuteilen.«
»Wenn Sie so gut informiert sind, wüsste ich nicht, was wir Ihnen noch sagen könnten.«
»Detective Claremont, es geht um meine Familie.« Pilar machte eine kleine Pause. »Ich weiß, dass die Behörden den Anruf an den Lago di Como zurückverfolgen
konnten. Ich weiß auch, dass mein Cousin bereits weg war, als die Polizei dort ankam, um ihn zu verhaften. Ich frage Sie, ob Ihrer Meinung nach mein Cousin meinen ... Anthony Avano umgebracht hat.«
»Mrs. Giambelli.« Maguire stellte ihre Kaffeetasse ab. »Es ist nicht unsere Aufgabe, Vermutungen zu äußern. Wir sammeln Beweise.«
»Sie und ich haben jetzt schon seit Monaten miteinander zu tun. Sie kennen mein Leben, viele persönliche Details. Ich verstehe zwar, dass Ihre Arbeit eine gewisse professionelle Distanz erfordert, aber ich möchte Sie trotzdem um ein wenig Mitgefühl bitten. Es ist möglich, dass sich Donato noch in Italien befindet. Meine Tochter ist ebenfalls in Italien, Detective Maguire. Ein Mann, den ich sehr gern habe, wurde fast getötet. Der Mann, mit dem ich mein halbes Leben lang verheiratet war, ist tot. Mein einziges Kind ist sechstausend Meilen weit entfernt. Bitte helfen Sie mir.«
»Mrs. Giambelli ...«
»Alex«, unterbrach Maguire ihn, bevor er weiterreden konnte. »Es tut mir Leid, Pilar, ich kann Ihnen
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