Im Sturm des Lebens
Sachen!« Sie stürmte ins Zimmer, ergriff ihren Laptop und drückte ihn an sich wie ein geliebtes Kind. »Ich gehe nirgendwohin. Ich bleibe hier.«
»Ich fahre zum Castello zurück und du kommst mit. Gibt es irgendeinen Grund, warum du da nicht arbeiten kannst?«
»Ja, einige.«
»Und die wären?«
Sie drückte ihren Computer noch fester an sich. »Mir fallen schon noch welche ein.«
»Während du darüber nachdenkst, kannst du deine anderen Sachen zusammenpacken.«
»Ich habe gerade erst ausgepackt.«
»Dann weißt du bestimmt noch, wo alles hingehört.« Mit dieser unbestreitbar logischen Erwiderung verließ Tyler das Zimmer.
Die Situation machte sie wütend. Er hatte sie in einem Moment erwischt, indem ihr Gehirn nach einer schlaflosen Nacht noch nicht funktionierte. Es ärgerte sie, weil sie selbst vorgehabt hatte, nach Norden zu fahren und zumindest ein oder zwei Tage im Castello zu arbeiten.
Und es ärgerte sie auch, dass sie einsehen musste, wie albern es von ihr war, während der ganzen Fahrt stumm und schmollend neben ihm zu sitzen.
Doch ihm machte es offenbar überhaupt nichts aus.
»Wir nehmen getrennte Schlafzimmer«, verkündete sie. »In diesem Bereich unserer Beziehung sollten wir langsam mal die Bremse anziehen.«
»Okay.«
Sophia hatte schon den Mund aufgemacht, um Tyler weiter zu reizen, doch dass er so lieblos zustimmte, machte sie sprachlos. »Okay«, brachte sie hervor. »Gut.«
»Hier ist das Wachstum schon Wochen weiter als bei uns zu Hause. Sieht so aus, als hätten sie schon die neuen Stöcke gesetzt. Ich habe gestern mit dem Vorarbeiter geredet. Er hat gesagt, das Wetter sei gut
gewesen, seit Wochen habe es schon keinen Frost mehr gegeben, und die Blüte muss jeden Tag beginnen. Wenn es während der Blüte weiter warm bleibt, bekommen wir einen normalen Ansatz. Oh, das ist die Umwandlung der Blüte in die Traube.«
»Ich weiß, was ein normaler Ansatz ist«, sagte Sophia mit zusammengebissenen Zähnen.
»Ich mache nur Konversation.«
Ty bog von der Autobahn ab und fuhr durch die sanften Hügel. »So ein hübsches Land! Es ist schon ein paar Jahre her, seit ich das letzte Mal hier war. So früh im Jahr habe ich es sogar noch nie gesehen.«
Sophia ging es anders, aber sie hatte es beinahe schon vergessen: das ruhige Grün der Hügel, der hübsche Kontrast der farbigen Häuser, die langen, schmalen Reihen der Weinstöcke ... Felder voller Sonnenblumen, die auf den Sommer warteten, und die fernen Berge, die sich vor einem blauen Himmel erhoben.
Die Menschenmengen in Venedig, das geschäftige Treiben in Mailand waren hier meilenweit entfernt. Dies hier war das kleine Herz Italiens.
Die hiesigen Weinberge waren die Wurzeln ihres Schicksals; sie hatten es bestimmt, seit Cesare Giambelli seine erste Reihe pflanzte. Von einem einfachen Traum zu einem großen Plan, dachte sie. Von einem kleinen Unternehmen zu einem internationalen Imperium.
Und jetzt, wo es bedroht war – wen wunderte es, dass sie es mit allen Mitteln verteidigte, die ihr zur Verfügung standen?
Sie entdeckte das Weingut, das ursprüngliche Steingemäuer und die verschiedenen Anbauten. Ihr Ur-Urgroßvater hatte die ersten Steine gesetzt. Sein
Sohn hatte weitere hinzugefügt und dann die Tochter seines Sohnes. Eines Tages, dachte sie, werde ich vielleicht weiter daran bauen.
Den Gipfel des Hügels aber beherrschte das Castello . Mit seiner Säulenfassade, den Balkonen, den hohen Fenstern stand es prächtig und verkörperte die Vision eines starken Mannes.
Er hätte gekämpft, dachte sie, und zwar nicht nur wegen des Profits. Er hätte um das Land gekämpft, um den Namen. Hier wurde ihr das auf einmal viel klarer als zu Hause. Hier, wo ein Mann sein Leben in die Hand genommen und dadurch ihres geprägt hatte.
Tyler stellte das Auto vor dem Haus ab. »Tolles Haus«, sagte er nur und stieg aus dem Wagen.
Sophia folgte ihm langsam und nahm den Anblick in sich auf. Tief atmete sie die Luft ein. Weinreben wucherten dekorativ über Mosaikfliesen. Ein alter Birnbaum stand in voller Blüte, und ein paar seiner Blütenblätter waren bereits abgefallen und lagen wie Schnee auf dem Boden. Plötzlich erinnerte sie sich an den Geschmack der Früchte, süß und intensiv, und wie ihr als Kind immer der Saft übers Kinn gelaufen war, wenn sie mit ihrer Mutter durch die Reihen lief.
»Du wolltest, dass ich das spüre«, stellte sie fest und wandte sich zu Tyler. »Hast du etwa gedacht, ich würde es nicht spüren?«
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