Im Sturm des Lebens
nächsten Tag ging es ihr nicht aus dem Kopf.
»Hat Eli dich gebeten, auf mich aufzupassen?«, fragte sie Tyler.
»Nein.«
»Meine Großmutter?«
»Nein.«
»Wer denn?«
»Hör mal, Sophia, Befehle nehme ich im Beruf entgegen, wenn es sein muss, aber nicht in meinem Privatleben. Und das hier gehört zu meinem Privatleben. Klar?«
»Nein.« Sie betrachtete sein gut geschnittenes Profil. »Du hast meinen Vater doch gar nicht gemocht, und nach mir bist du auch nicht gerade verrückt.«
»Deinen Vater habe ich nicht gemocht.« Er sagte das in einfachem Ton, ohne Entschuldigung und ohne Genugtuung. Und allein aus diesem Grund versetzte es ihr einen Stich. »Bei dir bin ich mir noch nicht sicher. Aber ich mag deine Mutter, und ich kann René nicht ausstehen, vor allem nicht die Tatsache, dass sie versucht hat, die Polizei auf Pilar und vielleicht auch auf dich zu hetzen.«
»Dann wird es dich begeistern, dass mein zweites
Ziel heute René ist. Ich muss mit ihr über den Gedenkgottesdienst sprechen.«
»Mann, das kann ja lustig werden! Glaubst du, ihr zieht euch an den Haaren und geht mit Zähnen und Krallen aufeinander los?«
»Das gefällt euch Männern, was? Ekelhaft!«
»Stimmt.« Er stieß einen wehmütigen Seufzer aus und brachte sie damit zum Lachen, das erste echte Lachen seit Tagen.
Sophia fiel ein, dass sie noch nie in einer echten Polizeiwache gewesen war. Ihre Vorstellungen entsprangen den Kriminalromanen, und deshalb hatte sie eigentlich dunkle Flure mit abgetretenem Linoleum, laute, vollgestopfte Büros, triefäugige, bellende Personen und den Geruch nach schlechtem Kaffee erwartet, der aus Pappbechern getrunken wurde.
Stattdessen stand sie in einem Bürogebäude mit sauberen Fußböden, die leicht nach Lysol dufteten. Es war dort zwar nicht gerade grabesstill, aber auch nicht so lärmend, wie sie angenommen hatte. Der Geruch von Kaffee hing in der Luft, aber er roch frisch und aromatisch. Sie sah allerdings Pistolen, und das war doch schon etwas – in Gürteltaschen oder im Schulterhalfter. Das war zumindest ein seltsamer Anblick in dem hell erleuchteten Zimmer, in dem das Hauptgeräusch das Surren der Computer war.
Als Sophia sich umsah, fiel ihr Blick auf Claremont. Er sah kurz auf eine Tür, die zum Nebenzimmer führte, dann stand er auf und kam auf sie zu.
»Guten Tag, Ms. Giambelli.«
»Ich will mit Ihnen über meinen Vater sprechen. Über unsere Vorkehrungen und Ihre Ermittlungen.«
»Wie ich Ihnen schon am Telefon sagte ...«
»Ich weiß, was Sie mir am Telefon gesagt haben, Detective. Im Grunde genommen gar nichts. Ich glaube, ich habe ein Recht auf mehr Information, und ich habe sicher ein Recht darauf zu erfahren, wann die Leiche meines Vaters freigegeben wird. Ich wollte Ihnen sagen, dass ich mich an Ihre Vorgesetzten wenden werde. Ich werde von jetzt an jede Verbindung nutzen, die ich habe. Und glauben Sie mir, meine Familie hat viele Verbindungen.«
»Darüber bin ich mir im Klaren. Lassen Sie uns in das Büro des Lieutenants gehen.« Er wies auf die entsprechende Tür und fluchte leise, als die andere Tür aufging und seine Partnerin mit René herauskam.
Sie sah in Schwarz großartig aus. Blass, mit goldenem Haar, das im Licht wie die Sonne strahlte, war sie das perfekte Bild einer gut situierten Witwe. Sophia konnte sich vorstellen, dass sie das Resultat sorgfältig im Spiegel betrachtet hatte, bevor sie aus dem Haus ging. René hatte es sich jedoch nicht verkneifen können, das Schwarz mit einer prächtigen Diamantbrosche aufzuhellen.
Sophia starrte auf die Brosche und blickte dann René ins Gesicht.
»Was macht sie hier?«, fragte René. »Ich habe Ihnen doch gesagt, dass sie mich belästigt! Sie ruft mich ständig an und bedroht mich.« Sie zerknüllte ein Taschentuch in der Hand. »Ich möchte, dass sie unter Arrest gestellt wird. Alle. Sie haben meinen armen Tony umgebracht!«
»Hast du die Rolle lange geübt, René?«, fragte Sophia eisig. »Sie ist noch verbesserungsbedürftig.«
»Ich verlange Polizeischutz! Sie haben Tony meinetwegen ungebracht. Das sind alles Italiener. Sie haben Verbindung zur Mafia.«
Sophia brach in Lachen aus. Sie sank auf die Bank an der Wand. »Oh, genau, das ist es! Das Haus meiner Großmutter ist eine Brutstätte des organisierten Verbrechens. Wir brauchten nur ein Ex-Model, ein auf Geld versessenes Flittchen, damit es endlich ans Tageslicht kommt.«
Sie merkte gar nicht, dass ihr Lachen in Weinen übergegangen war, dass ihr
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