Im Sturm erobert
sie fest. Leos dunkles Haar war windzerzaust von seinem Ritt, und er trug den Duft der Nacht mit sich. Sie hatte nicht an dem Brandy genippt, aber ein bißchen schwindlig war ihr trotzdem.
»Wie ist Euer Mann gestorben?« fragte Leo abrupt.
Die Frage riß sie aus ihren Tagträumen. Sie nahm sich zusammen. »Er wurde von einem Straßenräuber erschossen.«
Er sah ehrlich überrascht aus. »Gütiger Gott. Das tut mir leid.«
»Es passierte vor langer Zeit.« Sie hatte die Geschichte in den letzten fünf Jahren so oft wiederholen müssen, daß sie nicht mehr ins Stottern geriet. Sie versuchte, das Thema zu wechseln. »Wißt Ihr was, Sir? Der Vorfall heute nacht nimmt der Monkcrest-Legende etwas.«
»Was, zum Teufel, meint Ihr damit?«
»Ein echter Hexer hätte seinen Orakelspiegel konsultiert, bevor er losritt. Er hätte sein Vorhaben sicher abgeblasen, wenn er den Ausgang der Geschichte gesehen hätte.«
Leo grinste sie kurz an. »Madam, ich versichere Euch, die Wunde in meiner Schulter war Lektion genug. Es ist nicht nötig, auch noch meinen Stolz zu verletzen.« »Aber er ist ein so großes Ziel, Mylord. Wie könnte ich da widerstehen?«
»Genug. Ich ergebe mich.«
»In Ordnung.« Beatrice wandte sich ab, um sich die Hände zu waschen. »Es wird ein paar Tage weh tun, aber am Ende werdet Ihr höchstens eine kesse Narbe haben, um Euch an das Werk dieser Nacht zu erinnern.«
Das amüsierte Funkeln in seinen Augen verblaßte. Und da war wieder dieser grüblerische Ausdruck, als er beobachtete, wie sie sich die Hände an einem sauberen Handtuch abtrocknete.
»Ich nehme an, ich muß Euch danken.«
»Bitte, macht Euch nicht die Mühe, höflich zu sein, Mylord. Ich möchte nicht, daß Ihr etwas tut, das nicht Eurem Charakter entspricht.«
Finch erschien in der Tür. Er räusperte sich. »Euer sauberes Hemd, Mylord.«
Leo sah kurz zu ihm. »Danke, Finch.«
Finch ging zu ihm und legte das Kleidungsstück behutsam um seine Schultern. Leo machte sich nicht die Mühe, die Arme in die Ärmel zu stecken. Er ließ das Hemd einfach offen. Finch sah zu Beatrice. »Wäre das alles, Madam?«
Sie lächelte ihn an. »Ja, danke. Sie waren eine große Hilfe.« »Troll dich ins Bett, Finch.« Leo strich sich mit seinen langen Fingern durchs Haar und schob es sich aus der Stirn. »Du hast wie immer deine Pflichten bewundernswert erfüllt. Geh jetzt schlafen.«
»Ja, Mylord.« Finch nahm die blutigen Tücher, die Schüssel und den Krug und verließ die Bibliothek.
Leo wartete, bis sich die Tür hinter dem Butler geschlossen hatte, dann ließ er mit einer lässigen Bewegung seiner Hand den Rest Brandy im Kristallglas kreisen. Er starrte ins Feuer und sagte nichts.
Beatrice setzte sich ihm gegenüber hin und versuchte krampfhaft, nicht auf seine nackte Brust zu starren. Unglücklicherweise verdeckte das offene Hemd nur mangelhaft den Busch dunklen lockigen Haares, der sich zu seinen Reithosen hinunterzog.
Mit ungeheurer Willenskraft zwang sie sich, ihm ins Gesicht zu sehen. »Erzählt mir, was heute abend passiert ist, Mylord.«
Leo wollte seine verletzte Schulter heben, hielt abrupt inne und schnitt eine Grimasse. »Die Neugier zwingt mich, Euch zuerst zu fragen, was Eurer Meinung nach passiert ist.«
»Ich sehe drei Möglichkeiten.«
Er zog eine Braue hoch. »In der Tat?«
»Die erste wäre, daß Ihr losgeritten seid, um eine Mätresse zu treffen, und statt dessen ihren Mann angetroffen habt.«
Der Schein des Feuers funkelte in den Tiefen seiner Augen. »Ich versichere Euch, ich habe schon vor langer Zeit beschlossen, mich nie mit verheirateten Frauen einzulassen. Keine Lady ist eine Kugel wert. Und die zweite Möglichkeit?«
»Daß Ihr Euch damit unterhaltet, den Straßenräuber zu spielen.«
»Einfallsreich, aber nicht gerade schmeichelhaft.« Er goß sich noch einen Brandy ein. »Ich bin niedergeschmettert von Eurer schlechten Meinung über mich. Ich versichere Euch, sie ist völlig unangebracht.«
»Dann bleibt mir nur die letzte Möglichkeit.« Sie hielt inne. »Ihr seid losgeritten, um den Straßenräuber zu jagen, der gestern nacht meine Kutsche angehalten hat.«
Er hielt inne, sein Glas stockte kurz vor dem Mund. Dann setzte er es bedächtig ab. »Beeindruckend, Mrs. Poole, sehr beeindruckend. Sagt mir, wer hat Euch gelehrt, so kluge Schlüsse zu ziehen?«
»Mein Vater. Er ist überzeugt, daß der Herr sowohl Männer als auch Frauen mit der Kraft der Logik und Vernunft ausgestattet hat, in der Absicht,
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