Im Sturm erobert
erstarrte. Sie drehte ihren Kopf rasch zu Leo. »Wie bitte?«
»Natürlich erwarte ich keine Entschädigung.« Madame Tugend lachte. »Seid versichert, daß Lord Glassonby mehr als genug Geld in meinem Etablissement ausgegeben hat, um die Kosten des ruinierten Teppichs zu decken. Was wollt Ihr sonst noch wissen, Mrs. Poole?«
Beatrice richtete sich entschlossen auf. »Ich werde ganz offen sein, Madam. War da irgend etwas am Tod meines Onkels, das Euch Anlaß zu glauben gab, daß er nicht an einem Herzanfall starb?«
»Ah, Ihr fragt Euch, ob ich ihn mit übereifriger Anwendung der Peitsche getötet habe?« Madame Tugend lachte leise, kehlig, als sie sah, wie Beatrice errötete. »Ich versichere Euch, ich habe nichts dergleichen getan. Ich bin Expertin auf diesem Gebiet. Trotz gelegentlicher Versuchung habe ich es mir schon vor langer Zeit zur strengen Regel gemacht, meine Kunden in einigermaßen gutem Zustand zu hinterlassen. Ich möchte, daß sie wiederkommen, versteht Ihr?«
»Das war nicht das, was ich meinte«, erwiderte Beatrice mit zusammengebissenen Zähnen. »Könnt Ihr bitte genau beschreiben, wie mein Onkel gestorben ist?«
Madame Tugend wurde nachdenklich. Sie klopfte mit einer schwarzbehandschuhten Hand gegen den Rücken ihres Buches. »Es war kein schöner Anblick, aber das ist der Tod ja nie, nicht wahr?«
»Nein«, sagte Leo. »Habt die Güte, Eure Beschreibung kurz und auf Fakten beschränkt zu halten. Es besteht kein Grund, ein Drama daraus zu machen.«
»In Ordnung. Wie ich mich erinnere, waren wir gerade mit unserer Sitzung am Ende. Glassonby war im Begriff, seine Hose anzulegen. Plötzlich schien er Schwierigkeiten zu haben. Dann begann er zu würgen. Und eh ich mich versah, kaskadierte er auf meinen neuen Teppich.«
»Kaskadierte?« wiederholte Beatrice. »Ihr meint, er ist gefallen?«
»Sie meint, daß Euer Onkel sich heftig erbrochen hat«, erklärte Leo. Es amüsierte ihn, daß Beatrice trotz ihres welterfahrenen Gehabes nicht mit dem vulgären Jargon der jungen Lebemänner der Gesellschaft vertraut war.
»Oh.« Beatrice nickte. »Er hat sich übergeben.«
»Mir wurde gesagt, daß das bei Herzanfällen nicht ungewöhnlich ist«, erklärte Madame Tugend hilfsbereit.
Leo warf einen Blick auf Beatrice. Er wußte, was sie dachte: Erbrechen konnte auch ein Zeichen von Vergiftung sein. »Nach seinem Kollaps auf meinem neuen Teppich«, fuhr Madame Tugend fort, »hat er herumgestrampelt. Dann griff er sich an die Brust und verschied. Es war in wenigen Sekunden vorbei. Ich versichere Euch, ich habe sofort Hilfe geholt. Wie es der Zufall wollte, war gerade ein Arzt im Haus.«
»Er kam sofort?« fragte Beatrice.
»Ja, aber das tut er für gewöhnlich. Ich arbeite mit ihm, und wir haben schon große Fortschritte gemacht, kann ich zu meiner Freude sagen.«
Leo verdrehte die Augen zur Decke der Tempelruine. Er studierte die kleinen Nackten, die dort eingeschnitzt waren. »Ich verstehe nicht.« Beatrice klang wirklich ratlos. »Verscheiden öfter Gentlemen auf Eurem Teppich?«
Leo senkte den Blick von der Tempeldecke zu ihrem verwirrten Gesicht. »Madame Tugend machte einen ziemlich geschmacklosen Scherz, als sie sagte, der Doktor würde schnell kommen, Mrs. Poole. Wenn Ihr wollt, erkläre ich es Euch gerne später.«
Madame Tugend bedachte ihn mit einem weiteren amüsierten Lächeln.
Beatrice wurde rot. »Ich finde wirklich nichts Amüsantes an dieser Situation.«
»In der Tat«, sagte Madame Tugend. »Wie ich schon sagte, der Arzt hat Glassonby untersucht und schien überzeugt, daß er an einem Herzanfall gestorben war. Er konnte nichts mehr tun. Der Mann war tot.«
»Hat mein Onkel ein paar Minuten, bevor ihm schlecht wurde, etwas gegessen oder getrunken?«
Madame Tugends Lächeln verschwand. Ihre Augen wurden schmal. »Verdächtigt Ihr mich, ihn vergiftet zu haben, Mrs. Poole?«
»Nein, natürlich nicht«, erwiderte Beatrice hastig. »Wie Ihr gerade angedeutet habt, hattet Ihr kein Motiv. Ich kann mir nicht vorstellen, daß es gut fürs Geschäft wäre, Eure Kunden zu vergiften.«
»Wie wahr.« Madame Tugend entspannte sich sichtlich, aber ihr Blick war mißtrauisch.
»Zufällig weiß ich, daß mein Onkel die Angewohnheit hatte, ein spezielles Tonikum einzunehmen, zur Behandlung von, äh -« Beatrice räusperte sich. »Eines Schwächeproblems körperlicher Natur.«
»Ach ja, natürlich, sein Elixier der Manneskraft.« Madame Tugend setzte wieder ihre nachdenkliche Miene auf.
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