Bücher online kostenlos Kostenlos Online Lesen
Im Süden: Die Bayou-Trilogie (German Edition)

Im Süden: Die Bayou-Trilogie (German Edition)

Titel: Im Süden: Die Bayou-Trilogie (German Edition) Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Daniel Woodrell
Vom Netzwerk:
Ruf besser folgen, Kleine.«
    »Aber, Dad«, sagte Etta mit schriller Stimme, »hier ist doch die Familie! Wir haben Familie hier!«
    Der alte Mann steckte sich noch einen Glimmstängel an und setzte sich dann neben das Mädchen. Seine Hände waren nicht besonders ruhig, und seine schmerzenden Rippen veranlassten ihn, sich nach vorn zu beugen. Jeder seiner Atemzüge endete in einem unterdrückten Seufzer.
    »Also, Kleines, für Leute wie uns ist die Familie nur wie eine Raststätte zwischen Abenteuern. Du musst dich damit abfinden. So ist es eben. Das ist die Art und Weise, wie unsereiner lebt.«
    »Aber, Dad«, sagte Etta. »Tip ist ein harter Bursche. Rene auch, warum müssen wir da vor Lunch weglaufen?«
    »Ach, Kleines – Lunch ist ein hundsgemeiner Gangster. Ein Revolverheld.«
    »Dad, der Typ ist doch nur so ’n Stückchen größer als ich. Du hast ihn doch schon einmal ausgeknockt, und das ganz allein.«
    »Ich hatte Glück.«
    »Jetzt können Tip und Rene dir helfen.«
    »Es sind nicht ihre Probleme, sondern meine.«
    »Sie werden dir aber helfen.«
    John X suchte nach dem Aschenbecher und drückte seine Chesterfield aus.
    »Wir sind sowieso bald pleite«, sagte er. »Diese Pokerspiele bringen nicht so viel, wie ich gehofft hatte.«
    »Mh-hm.«
    »Wir kommen nicht hin damit.«
    »Ich kapier schon, Dad.«
    Beide Radios hatten weitergespielt, und John X und Etta saßen niedergeschlagen nebeneinander auf der Couch und seufzten, während zwei verschiedene Arten von Musik sich zu einer Fuge vereinten, die heftig an den Nerven zerrte: Dick Haymes sang »Little White Lies«, und Van Halen warf »Jump« in den musikalischen Mix.
    John X sagte: »Ich muss nachdenken – geh und mach den Mist aus.«
    »Das ist kein Mist.«
    »Mach’s trotzdem aus.«
    Etta saß da, die Knie umschlungen, fummelte versunken am schwarzen Kruzifix und starrte auf den Boden.
    »Mach das aus, Kleine – ich krieg keinen Gedanken auf die Reihe.«
    »Okay, okay«, sagte sie und torkelte mit bloßen Füßen durchs Zimmer. Sie stellte das Radio ab, ließ sich auf alle viere sinken und zog den Joan-Jett-Koffer unter der Pritsche hervor. Sie klappte den Deckel auf und schob die Hände vorsichtig an Grampa Enochs Barschködern und ein paar von ihren Kleidungsstücken vorbei bis zu dem Geld, das ganz unten im Koffer versteckt war. Sie blickte zu John X auf der Couch hinüber und griff sich dann schnell eine Handvoll Bargeld.
    »Dad«, sagte sie, als sie wieder ins Vorderzimmer zurückkam. »Ich hab dich nicht angelogen.«
    »Hab ich das gesagt? Über was?«
    Das Kind lehnte an der Wand, balancierte auf einem Bein und ließ den anderen Fuß rhythmisch über dem Fußboden pendeln.
    »Was ich mein, ist, du hast nie gefragt, also hab ich auch nie gelogen.«
    »Das ist ein mächtig weites Feld«, sagte John X. »Die Menge an Fragen, die ich dir nie gestellt habe.«
    Sie ging langsam auf ihn zu, die Hände hinterm Rücken, und ihre bleichen Kleinmädchenbeine wirkten in den weißen Boxershorts grotesk lang. Als sie bei ihm war, zog sie die Hände hinter dem Rücken hervor.
    »Das ist von Mom«, sagte sie. »Es ist mein Geld fürs College. Nach der zwölften Klasse muss man nämlich bezahlen.«
    John X riss ihr das Geld aus der Hand. Er bäumte sich auf. Seine Augen wurden schmal.
    »Eine Verschwörung, hä? Du und Randi, ihr habt was ausgehandelt. Einen Deal, von dem ich nichts weiß.«
    »Ich hab’s dir doch eben erzählt, Dad«, beteuerte Etta.
    Sie stand da und wartete auf irgendeine Art Strafe, ohne zu wissen, welche Form eine solche Bestrafung annehmen könnte oder was ihm überhaupt möglich wäre, da er sie nie verprügelt oder geohrfeigt oder auch nur groß angeschrien hatte. »Du hast ja nie gefragt.«
    Die Nacht war warm und ruhig. Außer dem immerwährenden Rauschen des Flusses und der Stimme des Radiosprechers war nichts zu hören. Die Stimme redete und redete von Weltereignissen, deklamierte die neuesten Nachrichten zur vollen Stunde.
    »Das tut weh«, sagte John X, als er das Geld zählte. »Kleine, es tut wirklich weh – magst du sie mehr als mich?« Seine Finger ließen einen Schein nach dem anderen auf das Kissen neben sich klatschen, und das Klatschen wurde lauter, je weiter die Gesamtsumme anstieg. »Du musst nicht antworten, wenn du nicht willst.«
    »Nein«, sagte sie.
    »Ahha, hier hätten wir neunhundertundfünfzig Mäuse, Schätzchen!« Er lachte los. Er klatschte sich auf den Schenkel. »Das verlangt nach einem Drink, Engel

Weitere Kostenlose Bücher