Bücher online kostenlos Kostenlos Online Lesen
Im Süden: Die Bayou-Trilogie (German Edition)

Im Süden: Die Bayou-Trilogie (German Edition)

Titel: Im Süden: Die Bayou-Trilogie (German Edition) Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Daniel Woodrell
Vom Netzwerk:
– wo ist meine Fla …«
    Treppenstufen knackten an der Veranda, und John X sah aufgeschreckt zur Tür. Er legte einen Finger an die Lippen, forderte damit Stillschweigen. Ein Schritt war zu hören, und bei dem Geräusch hob er ein Kissen von der Couch, ließ das Geld darin verschwinden und brachte Enochs .38er Bulldog zum Vorschein.
    »Geh in Tips Zimmer«, flüsterte er. »Versteck dich. Komm nicht raus, egal, was du hörst.« Er hatte die blauen Augen weit aufgerissen. »Du warst ein prima Kind.« Seine Tochter hatte sich bisher noch nicht bewegt, und mit barscherer Stimme sagte er: »Los jetzt!«
    Leises Fußgetrappel, und sie war im Nu verschwunden. Mit zitternden Fingern spannte John X die Pistole und glitt zur dunklen Fliegengittertür. Als die Schritte näher kamen, zielte er und sagte mit leiser und selbstbewusster Stimme: »Glaubst du an Wunder?« Er stieß die Fliegengittertür auf, die Pistole zum Schuss gehoben. »Denn es wär ein verfluchtes Wunder, wenn ich dich von hier aus verfehlen würde.«
    Die Gestalt auf der Veranda war in Weiß gekleidet und mit einer Schrotflinte bewaffnet. Stew Lassein sagte: »Ich weiß nicht, warum ich die hier mitgebracht habe.« Er hielt die Schrotflinte mit einer Hand am Lauf. »Ich nehm mal an, ich war drauf aus, dich umzulegen, Johnny.«
    »Du hast keine Chance, Stew. Leg den Entenschreck gleich da vorne ab. Lass die Knarre fallen.«
    Die Schrotflinte schepperte auf den Verandaboden. Stew blickte gelassen in den Pistolenlauf, der auf sein Gesicht gerichtet war, und lächelte, als sei es eine Eiswaffel oder eine unerwartete Nelke fürs Knopfloch. John X ging rückwärts ins Haus, die .38er im Anschlag, und Stew folgte ihm ins schummrig beleuchtete Vorderzimmer.
    »Criminentlies, du hast mir vielleicht ’nen Schreck eingejagt, Kumpel. Ich dachte, du wärst jemand anders.« Das Licht der einsamen Lampe beschien einen verhunzten Stew Lassein. Seine Geistergewandung war besudelt, und getrocknetes Blut zeichnete eine dunkle Maserung auf seine Hemdbrust. Er war sehr blass, und unter seinen Augen hatten sich schwarze Ränder gebildet. Seine Oberlippe war auf Daumendicke angeschwollen. Seine Kleider und sein Körper verbreiteten einen durchdringenden Gestank. »Oh, Mann«, sagte John X, »setz dich mal hin. Du siehst ja aus wie ausgekotzt, Kumpel.«
    Stew fiel nach und nach auf die Couch, wie Stückgut, das unbedacht abgeladen wird, und lag schlapp über den Kissen.
    »Mach schon, erschieß mich, Johnny«, forderte er. Sein Kinn berührte die Brust. »Mein Leben ging schon letzten Winter zu Ende, am Tag, als der eisige Schneesturm kam.«
    »Ich will dich nicht erschießen. Und überhaupt ist das ’ne beschissen traurige Ansage für einen Mann, oder? ›Erschieß mich‹, mein ich.«
    »Mir ist alles egal. Ich hab nicht mehr geschlafen seit vorgestern Abend. Seit dem Pokerspiel.«
    »Kein Wunder.«
    »Ich kann einfach nicht. Ich kann nicht schlafen.«
    John X setzte sich neben Stew auf die Couch. Die Pistole in seiner Hand sackte abwärts.
    »Ich weiß, du hasst mich«, sagte John X, »aber ich weiß nicht, warum.«
    »Du weißt, warum.«
    »Weißt du, ’ne Menge Wasser ist unter der Brücke durchgeflossen, aber wir sind nicht drin abgesoffen. Das ist doch die Hauptsache, oder?«
    Stew schnaubte. »Das ist auch nicht annähernd die Hauptsache.«
    »Verstehe. Ich bin ein Lügner?«
    »Du bist nur oberflächlich. So verdammt oberflächlich. Dir und deinesgleichen geht’s im Leben doch nur um niedrige Bedürfnisse.«
    »Das ist oberflächlich?«
    »Verdammt oberflächlich.«
    »Sind Ficken und Saufen und Spielen niedrige Bedürfnisse?«
    » O ja. Ja.«
    »Dann hast du recht – ich bin ein oberflächlicher Hurensohn.«
    Einen Moment blieb Stew stumm. Seine Augen waren offen, aber seine Gedanken hatten sich in einer überwältigenden Erinnerung verfangen. Aus dem Radio erklang ein Glenn-Miller-Medley. Als er sich der Vergangenheit entrissen hatte und John X zuwandte, sah er ihm zum ersten Mal direkt in die Augen, seit er sich gesetzt hatte.
    »Also, erzähl mal«, sagte Stew, »war Della ’n geiles Stück?« John X hielt dem Blick ungerührt stand. »Ich will’s wirklich wissen – konntest du mit Della ’ne gute Nummer schieben, nach deinen Maßstäben?«
    »Oh, bitte, halt’s Maul. Sprich nicht so von den Toten.«
    »Sie war meine Frau, und sie war so hübsch.«
    »Das war sie, Stew. Ein Prachtmädel.«
    »Ich hatte nie so viel Schlag bei den Mädchen wie du, Johnny. Ich

Weitere Kostenlose Bücher