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Im Süden: Die Bayou-Trilogie (German Edition)

Im Süden: Die Bayou-Trilogie (German Edition)

Titel: Im Süden: Die Bayou-Trilogie (German Edition) Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Daniel Woodrell
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willen geschehen sein mochte. Im Licht der Lampe bewegte sie sich langsam auf ihren Dad zu, verstohlen auf bloßen Füßen tapsend, und zog dabei krampfhaft mit den Fingern die weiten Boxershorts hoch, um jedes verräterische Rascheln zu verhindern.
    Der Mann in Weiß, der Mann, der beim Pokern geweint und an der Bar behauptet hatte, Narben auf dem Herzen zu tragen, lag auf dem Rücken. Atmete nicht. Und neben der Leiche hockte Dad, hockte wie versteinert da.
    Etta kam näher und sah dem toten Mann ins Gesicht. Sein Mund klaffte gähnend weit auf, und seine Augen waren zu schmalen Schlitzen geöffnet.
    »Oh, Dad«, sagte sie, und ihre Stimme klang seltsam abgeklärt und enttäuscht. »Du hast ihn umgebracht.«
    John X hob den Kopf nicht, aber schüttelte ihn.
    Schnelle zielstrebige Schritte kamen die Treppe hinauf, über die Veranda und an die Tür.
    Tips Stimme ertönte und sagte: »Kein übles Haus, Gretel. Manchmal wird es überflutet, aber ich fühl mich hier wohl. Ich nenn es mein Heim. Ich mag es. Hauptsächlich, denk ich, weil’s voll bezahlt ist.«
    Die Fliegentür wurde aufgerissen. Tip und Gretel traten ein und blieben im selben Moment stehen.
    »Oh nein, nicht hier!«, rief Tip. »Musstest du ihn denn in meinem Haus umbringen?«
    John X sah auf.
    »Ich hab ihn nicht umgebracht.«
    Die .38er Bulldog war nicht zu übersehen.
    »Du hast ihn erschossen, oder?«
    »Er hatte eine Schrotflinte dabei, Sohn, aber ich hab ihn nicht erschossen. Sie liegt da draußen irgendwo.«
    Gretel sah plötzlich schwach und angegriffen aus. »Ich muss mich hinsetzen«, sagte sie. Sie setzte sich auf die Couch.
    Tip kniete sich neben die Leiche und rollte sie auf den Bauch und dann wieder auf den Rücken, um nach Blut zu suchen.
    »Keine Schusswunde. Du hast ihn nicht erschossen.«
    »Hab ich doch gesagt«, sagte John X. »Herzschlag.«
    Etta setzte sich zu Gretel auf die Couch.
    »Ich halt das nicht aus«, sagte sie.
    »Dad«, meinte Tip, »wir müssen ihn hier wegschaffen. Nach der Schlägerei heute hält man euch für Feinde. Wenn wir die Polizei rufen, könnte es Stunk geben.«
    »Daran hab ich noch gar nicht gedacht.«
    »Wir könnten ihn in den Sumpf schaffen …«
    »Nein! Kommt nicht infrage.« John X schüttelte den Kopf. Hob die Hände und rieb sich die Augen. »Bringen wir ihn nach Hause – weißt du, wo er gewohnt hat, Sohn?«
    Wie ein Feuerwehrmann nahm Tip Stew in den Rettungsgriff und schleppte ihn zum orangefarbenen Laster hinaus.
    »Puha!«, sagte er. »Der Bursche stinkt vielleicht.«
    John X blieb seinem Sohn auf den Fersen.
    »Es waren schwere Zeiten für ihn, seit ’ner ganzen Weile schon«, erklärte er. »Und jetzt sind sie noch schwerer geworden.«
    Tip legte die Leiche auf die Ladefläche des Lasters. Leichter Regen hatte eingesetzt, und vom Fluss her pfiff der Nachtwind in schauerlichem Falsett.
    John X setzte sich hinters Steuer, Gretel rutschte in die Mitte. Tip rückte an die Fensterseite und nahm Etta auf den Schoß. Enochs Truck ließ sich Zeit beim Starten, aber schließlich sprang der Motor doch an, und die Kolben begannen ihr zänkisches Gequengel.
    »Dad«, fragte Etta, »was hast du noch gesagt, was ich machen soll?«
    »Klopf einfach an ihre Tür und sag ihr, wer du bist. Sag ihr, ich sei besoffen oder sonst was, und du brauchst einen Platz zum Schlafen.«
    »Sie wird dich reinlassen«, sagte Tip. »Ma ist okay.« Der orangefarbene Truck rollte durch die regennassen Straßen von Frogtown bis zur Ecke Lafitte und Perry. John X hielt am Straßenrand, und Etta sprang raus, den Joan-Jett-Koffer in der Hand.
    »Ich komm morgen her, um dich abzuholen«, kündigte John X an. »Beeil dich.«
    »Morgen hat Ma Geburtstag«, sagte Tip.
    »Ist ja seltsam«, meinte John X und fuhr dann weiter nach Tips Vorgaben zu Stews Haus.
    Das Lassein-Heim war hell erleuchtet. Als Tip ihn von der Ladefläche hob, war Stew triefend nass, schlapp und schwer vom Regen. In aller Eile trug er den Toten zur Veranda.
    John X fasste an den Türgriff.
    »Ist abgeschlossen«, sagte er.
    »Vielleicht in seinen Taschen«, schlug Gretel vor.
    Während Tip Stew aufrichtete und festhielt, kramte John X in den Taschen des toten Mannes. Er fand den Schlüssel in der Vordertasche von Stews nasser weißer Hose und öffnete die Tür.
    In einer Ecke des vorderen Zimmers stand inmitten von Zeitungen ein großer Polstersessel, daneben auf dem Fußboden ein Paar Hausschuhe.
    »Sieht aus, als könnte das sein Lieblingsstuhl gewesen sein«,

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