Im Süden: Die Bayou-Trilogie (German Edition)
ich eben nicht erzogen.«
»Es wäre bestens für dich gesorgt.«
»Freiheit ist es, was wir schätzen. Sie kommt von innen heraus. Gesellschaft und Regeln und all das zerstören sie.« Gretel beugte sich vor. Auf ihrem Gesicht lag ein ernster Ausdruck. »In eine Ehe kann ich mich nicht fügen, Tip, aber ich wünsche mir schon lange, mit dir zusammenzuleben. Das hab ich schon eine ganze Weile im Sinn.«
Tips pockennarbiges Gesicht schnellte in die Höhe. Er sah ihr in die Augen.
»Hast du?«
»Mm-hmm.«
»Also, das wär auch okay«, sagte er eilfertig. »Versuchen wir’s eben.«
»Ich steh auf dich, ehrlich«, sagte Gretel. »Wir haben uns noch nie zusammen nackt ausgezogen, aber ich hab mir’s schon vorgestellt, und ich meine, wir müssten passen.«
»Wenn ich’s mir vorstelle, dann passt’s«, bekräftigte Tip. Er reckte die mächtigen Arme und seufzte vor Erleichterung. Seine Gesichtszüge entspannten sich. »Und ich hab’s mir oft vorgestellt, obwohl wir uns noch nicht mal geküsst haben.«
»Das werden wir«, versicherte Gretel. Einer der vielen Tonys sang jetzt »Jeepers Creepers« und hob damit rundherum die Stimmung. »Aber da gibt es ein paar Dinge, die ich in meiner Zukunft will. Ich meine, in dem Haus, in dem ich wohne.«
»Raus damit, Gretel. Ich will, was du willst.«
Sie trank einen Schluck von ihrer Limo und senkte den Blick.
»Es ist mir peinlich, aber daheim hatten wir keine Klospülung. Delirium sagt immer, das einfachere Leben ist das bessere Leben, aber ich glaube, ich möchte von jetzt an Wasserspülung im Klo.«
»Himmel auch – Wasserspülung hab ich doch.«
»Hast du? Das wär erste Sahne. Ich hab mich bei Mrs. Carter so daran gewöhnt.«
Tip wedelte mit der Hand in der Luft und lehnte sich auf seinem Stuhl nach hinten.
»Elektrisches Licht, Gasherd. Alles da. Nur mein Kühlschrank ist nicht mehr so fit.«
»Klimaanlage?«
»Hä?«
»Ich mag Klimaanlagen, auch wenn ich weiß, dass die Dinger die Gierköpfe nur noch reicher machen.«
»Ich hab so ’n Fensterding«, sagte Tip. »Funktioniert ganz gut. Ich könnte noch eins mehr installieren.«
»Ich kauf es«, versprach Gretel. Sie tätschelte sich den Bauch. »Der Anwalt sagt, dass ich am Ende mit glatten fünftausendzweihundert dastehe.«
Tip schüttelte den Kopf, dass seine langen Strähnen flogen.
»Damit hab ich nichts zu tun.«
»Und ich hab keine Angst, davon was auszugeben.«
Ihre Hände lagen auf dem Tisch, und Tip langte mit den eigenen hinüber, um sie zu packen. Er hielt sie fest.
»Mann, ist das spitze«, sagte er.
Nach ein paar weiteren Minuten stummen Glücks verließen Tip und Gretel Pio’s, und Tip legte der Kellnerin noch einen Zehn-Dollar-Schein auf den Tisch. Sie gingen zusammen auf den Parkplatz hinaus. Ein leichter Nieselregen fiel, und der Mond schien trübe durch die Wolkenschleier. Sie fassten sich bei den Händen, kümmerten sich nicht um die feinen Tropfen und schlurften langsam zu seinem Wagen.
»Wie wär’s, wenn du mir das Haus zeigst?«, sagte Gretel. »Bist jetzt hast du mich ja noch nie mitgenommen.«
Tip zog die Schlüssel hervor und ließ sie klappern.
»Wird gleich gemacht.« Dann warf er die Arme um sie und zog sie seitlich an sich, um ihrem Bauch auszuweichen. Sie hob ihm das Gesicht entgegen, und sie standen da im Regen und küssten sich. Der erste Kuss war so überwältigend, dass er umgehend zum zweiten führte. Zunge traf auf Zunge, und Gretel legte ihm die Hand auf den Hintern. Dann ließ sie sie nach vorne rutschen und bekam was zu fassen. »Aaaah, Gretel«, flüsterte er, »lass uns fahren.«
Er wollte die Wagentür öffnen, aber sie sagte: »Warte.« Sie hob die linke Hand, spreizte die Finger und krümmte den kleinen. »Tip, gib mir deinen Finger.« Er hob die Hand, und sie verhakten ihre kleinen Finger.
Gretel drückte zu und sagte: »Das bedeutet mir mindestens so viel wie irgend so ’n Stück Papier.«
12
Das Haus war dunkel, aber noch schlief niemand. Etta lag auf ihrer Pritsche in der Küche, Tips Transistorradio dicht am Ohr, eingestellt auf einen Rocksender, und hörte George Michael » I Want Your Sex« singen, während John X auf der Couch im Vorderzimmer lag. In seinem Radio lief »Apple Blossom Time« von den Andrews Sisters.
Um seine Gedanken von all den möglichen oder sicheren Katastrophen in seiner Zukunft abzulenken, flüchtete John X sich in die Fantasie und beschwor eine frühere Version seiner selbst herauf, einen Mann, der an einem
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