Im Süden: Die Bayou-Trilogie (German Edition)
strafte das Land mit viel zu vielen Kubikzentimetern Regen in viel zu kurzer Zeit, und der Big River, angeschwollen vom Wasser, das aus dem Herzland abfloss, sprang über die Ufer und sprang und sprang und veränderte auf alle Zeiten das Gesicht der Welt an seiner Mündung. Die große Flut wurde nach ihrem Jahr benannt, 1927, und in ihrem strudelnden Sog wurden Städte zu Sumpflöchern, Reichtümer zu verschollenen Erinnerungen und ganze Familien hinausgespült in den Golf, ohne dass man je wieder eine Spur von ihnen fand. Die Sümpfe wurden von den aufsteigenden Wassern überschwemmt, und alle, die dort lebten, waren gezwungen, in höheres Gelände zu flüchten, wo sie sich in Rote-Kreuz-Lagern drängten und auf eine Welt trafen, die fern der ihren existierte.
Für die meisten der Flüchtlinge war dies der erste Blick, den sie auf das Leben jenseits der Sümpfe erhaschten, und je länger die Wochen im Lager wurden, desto mehr Gefallen fanden viele an dem, was sie sahen. Als der große Fluss sich beruhigte und sich der Pegel im Sumpf wieder normalisiert hatte, kamen Familien, die bis dahin außer dem sumpfigen kein anderes Leben gekannt hatten, zu dem Schluss, dass der Reiz des Wildreis-Anbaus und die Fallenstellerei auf Biberratten vom Stadtleben in den Schatten gestellt wurde, denn da gab es zuckergebeizten Schinken umsonst, solange man eine Kartoffel kaufte, da waren die Tauben fett und zart und schmeckten wie Garnelen, da wurde Bares zweimal die Woche ausgeteilt, und zudem harrte ihrer dort ein unerschöpflicher Vorrat an Frohsinn aus der Flasche und Tingeltangel-Lebenslust. Die Flut trieb diese Leute aus dem abgeschiedenen Leben im Sumpf und dem Blendwerk der lockenden Stadt in die Arme.
John X blickte aus dem schmutzigen Badezimmerfenster von Tips Haus auf den braunen Fluss, der sich auf seinem endlosen Schlängelpfad durch die Nacht wand. Er verkeilte den Ellbogen auf der Fensterbank, um nicht den Halt zu verlieren, und leerte dann sein Whiskeyglas. Unter den Familien, die von der Flut zur Flucht gezwungen wurden, waren auch die Blanquis, die von einem Ort ohne Namen flohen, tief im Sumpf. Sie waren im Sommer ’27 in die Stadt gekommen, drei Monate nach der Flut, und es war wegen dieser hereingebrochenen Wassermassen, dass er, später dann, ein gewisses vierzehnjähriges Blanqui-Mädchen, die er mit impulsiven Schmusegesängen umworben hatte und der er dann letztendlich angetraut wurde. Wenngleich die schreckliche Flut seine Mutter umgebracht und deren Wasserleiche nie wieder hergegeben hatte, hatte sie ihm jedoch auf Umwegen auch eine Ehefrau und Nachkommenschaft beschert.
John X lehnte sich vom Fenster zurück, und als er sich umdrehte, blickte er in ein betrunkenes Gesicht im Spiegel über dem Waschbecken. Zu seiner Bekümmernis stellte er fest, dass es sich um sein Gesicht handelte. Criminentlies, heute war sein kleiner Engel nicht da, um ihm den Whiskey einzuschenken, und allein auf sich gestellt, hatte er es vermasselt. Sein kleiner Engel wusste ganz genau, wie groß ein kleines Vögelchen Whiskey zu sein hatte. Aber wenn er allein war, hatte er Probleme mit der Dosierung, und er war betrunken, seit er um die Mittagszeit auf der Couch zu sich gekommen war. Sein bleiches Gesicht mit den grauen Bartstoppeln war nur ein verschwommener Fleck im Spiegel.
Er warf einen verschwommenen Blick auf das verschwommene Bild und beschloss, sich zu rasieren. Er öffnete das Schränkchen und fand Tips Rasierapparat und den Rasierschaum. Der Schaum zischte auf seinen Handteller, und John X verteilte ihn über die Wangen. Er beugte sich ins Licht, ließ den Kiefer hängen und führte den Rasierapparat abwärts, sodass er vom Wangenknochen aus eine zittrige Schneise durch die Stoppeln zog. Sofort blühten zwei Blutflecken auf. Er wollte um 19 Uhr 30 bei Monique zum Abendessen sein, aber er hatte die verdammte Uhr aus einem schrägen Blickwinkel gesehen und hatte sich daher beim Ablesen vertan. Um ganze zwei Stunden. Er hatte gedacht, es sei Viertel vor sechs und ihm bliebe noch jede Menge Zeit, nur um nach zehn Minuten nochmals nachzuschauen und festzustellen, dass es fast acht war und er sich beeilen musste. Er saugte die Lippen nach innen und zog den Rasierer in aller Eile über seine Kinnwölbung. Als er damit fertig war, richteten sich schmale Streifen von Barthaaren auf, die dem Rasierapparat entgangen waren, und winzige Fetzen von errötendem Toilettenpapier lösten sich langsam von den Schnitten, die er sich mit
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