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Im Süden: Die Bayou-Trilogie (German Edition)

Im Süden: Die Bayou-Trilogie (German Edition)

Titel: Im Süden: Die Bayou-Trilogie (German Edition) Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Daniel Woodrell
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auf dem Fußboden nach ihrem Slip, der vorhin, als Privatsphäre noch ein zweitrangiges Anliegen gewesen war, mit Schwung irgendwohin befördert worden war.
    Shade drehte das Gas unter dem Wassertopf in der kleinen Küche auf, stellte den Filter auf die Kanne und löffelte Yuban-Kaffee hinein. Dann holte er zwei Tassen und wandte sich wieder Nicole zu.
    »Das ist schwachsinnig«, sagte er. »Mir macht es eigentlich gar nichts aus. Ich weiß nicht, warum ich dich gerade angefahren habe. Macht der Gewohnheit, nehme ich an.«
    Nicole, die gerade ihren roten Slip zusammengeknüllt auf dem obersten Brett des Bücherregals entdeckt hatte, antwortete nicht.
    »Möchtest du ’nen Schlüssel?«, fragte Shade. »Wenn du willst, kannst du einen haben. Ich treib’s sowieso mit keiner anderen.«
    »Du treibst es mit keiner anderen?«, wiederholte Nicole, die Unterhose in der Hand. »So nennst du das also? Du treibst es mit mir? Redest du so mit anderen Leuten darüber?«
    »Ach, Scheiße«, murmelte Shade. Er starrte konzentriert auf den immer noch nicht kochenden Wasserkessel. »Das ist doch nur so eine Redensart. Eine schlechte vielleicht.«
    »Vielleicht?«
    Nicole rollte den Slip eng zusammen und steckte ihn in die Tasche ihrer abgeschnittenen Jeans. Sie ging zur Hintertür und öffnete sie. Der Fluss rauschte hinter den Bahngleisen und bildete den passenden Hintergrund für diese dramatische Abschiedsszene.
    »Denk in Ruhe über alles nach«, sagte sie. »Das mach ich auch.«
    »Wenn du ’nen Schlüssel willst, kannst du einen haben.«
    »Rene«, begann Nicole, einen unüberhörbaren Vorwurf in der Stimme. »Darum geht’s nicht. Es geht nicht um den Schlüssel.«
    »Oh, verstehe«, entgegnete Shade. Er nahm das inzwischen kochende Wasser vom Herd und goss es in den Filter.
    »Ich lass drüben im Laden ’nen Nachschlüssel machen und werf ihn dir in den Briefkasten.«
    Nicole zuckte die Achseln, senkte den Blick und sah dann wieder auf.
    »Wenn du unbedingt willst«, sagte sie.
    »Ja, ich will.«
    Sie ging langsam wieder ins Zimmer und zog die Tür hinter sich zu.
    »Heute?«

7
    Schon lange hatte Jewel Cobb in seinen nächtlichen Fantasien Mordszenarien heraufbeschworen, doch als er sich endlich anschickte, diese Mitternachtswelt tatsächlich zu betreten, fand er sich in einer verfrühten Nocturne wieder – die Sonne zog noch ihre wachsame Bahn, und auf den Gehwegen herrschte hektischer Betrieb, da es bereits auf fünf Uhr zuging.
    Er futterte Kartoffelchips, während er zwischen einem dreistöckigen Backstein-Lagerhaus und dem von hinten recht opulent wirkenden zweistöckigen Stripclub von Teejay Crane in der Seitengasse herumlungerte. Seine Hand bewegte sich mechanisch wie die einer Marionette zwischen der Kitty-Clover-Tüte und seinem Mund hin und her. Auf dem Asphalt lagen Glasscherben, und er scharrte mit seinen Stiefeln darauf herum, bis sie knirschend zerbrachen. Gleich neben seinen Füßen stand in einer braunen Papiertüte eine Flasche Falstaff-Bier, und Jewel beugte sich zwischendurch immer wieder hinunter, um einen Schluck zu trinken.
    Die Schrotflinte befand sich in der zweiten der vier Mülltonnen vor dem Notausgang des Clubs. Jewel hatte sie in zwei Teile zerlegt in einer Einkaufstüte mitgebracht. Sowohl der Lauf als auch der Schaft waren abgesägt. Wie ein kotzender Betrunkener hatte sich Jewel über die Mülltonne gebeugt, während er die Flinte wieder zusammengebaut und geladen und dann behutsam seitlich neben den Müll gesteckt hatte, wobei er genau darauf geachtet hatte, dass der Lauf nicht verstopfte. Der Schaft zeigte nach oben, damit Jewel die Flinte problemlos packen konnte.
    Die Anweisungen, die Duncan und Ledoux ihm gegeben hatten, gingen ihm immer wieder durch den Kopf. Warte in der Gasse, leg ihn um, Kopfschuss, lass die Flinte fallen, geh die Seventh Street runter, dann nach links, da wartet der Fluchtwagen. Jewel kannte das alles in- und auswendig, aber das gab ihm auch keine Sicherheit.
    Die Kartoffelchips waren aufgegessen. Jewel trat die leere Tüte beiseite und bückte sich dann nach seinem Falstaff.
    Er war keine zehn Schritte von der Seventh Street entfernt, aber niemand beachtete ihn. Nahtlos fügte er sich in seine Umgebung ein, eine von vielen Elendsgestalten, wenn auch etwas jünger als die meisten und besser gekleidet. Wenn jemand ihn anschaute, senkte er immer schnell den Kopf und schüttelte ihn, als wollte er einen jener riesigen rosaroten Saufkumpane vertreiben, die selten

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