Bücher online kostenlos Kostenlos Online Lesen
Im Süden: Die Bayou-Trilogie (German Edition)

Im Süden: Die Bayou-Trilogie (German Edition)

Titel: Im Süden: Die Bayou-Trilogie (German Edition) Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Daniel Woodrell
Vom Netzwerk:
fragte Tip Shade.
    »Ganz gut.«
    »Zwicken dich die Hämorrhoiden, oder bist du gerade auf dem Sprung?«
    Tip setzte sich an den Tisch und nickte Roque zu.
    »Er überlegt noch, ob er was essen soll«, erklärte Roque.
    »Stimmt gar nicht.« Ledoux fummelte mit der Hand an seinem Reißverschluss. »Ich werd jetzt ein paar Tränen für Irland vergießen. Dann hab ich zu tun.«
    »Nur zu«, sagte Roque.
    »Was soll das heißen, willst du auf Irland pissen oder was?«, fragte Patrick Shade, ein trikultureller Mann, der für die beiden Heimatländer, die er noch nie gesehen hatte, einen gefährlichen Stolz empfand.
    »Das ist nur so ’ne Redensart«, antwortete Ledoux. Allenthalben wurde genickt, und Ledoux grinste. »Außerdem bist du ein Frog – uns kannst du doch nichts erzählen.«
    »Nur wenn ich will«, entgegnete Tip. »Im März bin ich jedenfalls Ire.«
    Ledoux entfernte sich, und als er auf die Toilette zusteuerte, hörte er Tip sagen: »Was hältst du von der Sache mit Alvin Rankin, Steve? Das versetzt Pan Fry ganz schön in Aufruhr, was?«
    »War nicht anders zu erwarten«, meinte Roque. »Aber solange sie sich nur gegenseitig umbringen, wen juckt’s? Dich nicht und mich auch nicht. Ich frage dich – wer regt sich eigentlich darüber auf?«

6
    Mitten in Frogtown – oder Old French Town, wie auf den historischen Informationstafeln stand – hatten die Straßen dunkelorangenes Kopfsteinpflaster, und die Backsteinreihenhäuser waren so gebaut, dass die Türen direkt auf die Straße und nicht auf Gehwege führten. Auf handgemalten Schildern wurde für Pierres Schuhe, Jacquelines Kräuter und Gewürze und, an der Ecke von Lafitte Street und Perry Street, für Ma Blanquis Billardsalon geworben.
    Im Erdgeschoss des Hauses standen zwei Pooltische in einem Raum, der früher als Wohnzimmer gedient hatte, ein weiterer Tisch befand sich im ehemaligen Esszimmer. Dahinter lagen eine kleine Küche, ein Schlafzimmer und eine Speisekammer ohne Tür. Monique Blanqui Shade saß in dieser Kammer auf einem hohen Hocker und überwachte die Tische. Eine große Dr.-Pepper-Kühltruhe diente als eine Art Theke und als Ablage für die Erfrischungen, die sie verkaufte.
    Im oberen Stockwerk war eine separate Wohnung. Die Tür, die sie mit dem Erdgeschoss verband, hatte allerdings kein Schloss. Das war bisher noch nie ein Problem gewesen, denn in der Wohnung lebte Rene Shade. Er tat das teilweise deswegen, weil er, trotz massiver Gegenbeweise, der Meinung war, dass seine Mutter hier im Viertel auf seinen Schutz angewiesen war, vor allem aber deswegen, weil es billig war.
    Am Morgen nach dem Treffen mit Bürgermeister Crawford wachte Shade kurz vor zwölf Uhr mittags auf, kam aber nicht aus dem Bett. Die Wohnung war dunkel, und er sah sich im Zimmer um. Die Einrichtung war so vertraut, dass er die Trophäen auf dem Bücherregal, die Breughel-Reproduktionen an den Wänden und die auf dem Fußboden verstreuten Klamotten gar nicht richtig wahrnahm. Er starrte auf eine gurrende Taube auf dem Fenstersims. Die Taube ließ sich von seinem Rufen nicht vertreiben, und er überlegte, ob er etwas nach ihr werfen sollte, doch dann beschloss er, nicht schon so früh am Tag so schwierige Übungen zu machen.
    Er legte sich ein Kissen übers Gesicht und versuchte weiterzuschlafen. Wenig später, in dem luziden, aber reglosen Zustand, in dem das Unterbewusstsein spricht und das Bewusstsein zuhört, bemerkte Shade auf einmal, dass aus seinem Körper nasse Blüten sprossen. Die feuchten Tulpen entfalteten sich an seinem Hals, seinem Bauch und dann in einer Gegend, wo süße Blüten ein gefährliches Leben führen. Seine Hand folgte dem Muster der Gewächse und erwischte schließlich eine Knospe, die gerade aufgetaucht war, sich aber schon ausbreiten wollte.
    »Erwischt«, sagte eine Blues-Saxophon-Stimme.
    Langsam richtete sich Shade auf. Er hatte ein paar Strähnen von Nicole Webbs Haaren um den Finger gewickelt.
    »Die wievielte Runde?«, fragte er.
    Nicole schlang ihm die Arme um den Hals.
    »Die erste«, antwortete sie. »Und du gewinnst.«
    »Bin gleich wieder da«, meinte Shade. Er ließ sich aus dem Bett rollen und stolperte ins Bad. Dort beugte er sich übers Waschbecken, um sich Wasser ins Gesicht zu spritzen, und wässerte dann seinen Mund, der sich wie ein Kartoffelacker anfühlte.
    Nicole lehnte am Türpfosten. Sie war ein seltener Glückstreffer für einen alleinstehenden Mann, der die Zwanziger hinter sich hatte – erwachsen, aber nicht

Weitere Kostenlose Bücher