Im Süden: Die Bayou-Trilogie (German Edition)
oder Furcht zu erkennen.
»Es ist mein Job. Im Moment.« François machte eine entschuldigende Handbewegung. »Diese Sache könnte noch jahrelang interessante Wellen schlagen. Alvin Rankin war schwarz, musst du wissen.«
»Ich glaube, ich hab mir das irgendwo notiert, ja.«
»Also, er war ein guter Mann. Ein guter Demokrat. Für mich wäre es nicht das Schlechteste, derjenige zu sein, der die Anklage übernimmt. Es käme allerdings darauf an, wen ich anklage.«
»Ah. Das heißt, wenn du’s so hinkriegst, dass die Parteiwesten weiß bleiben, dann wirst du vielleicht Stadtratsabgeordneter oder so was.«
»Ja, könnte sein. Aber das ist nur ein oberflächlicher Aspekt. Rene, in einer Stadt wie dieser musst du ein gutes Verhältnis zu den Schwarzen und Latinos haben, wenn du gewählt werden willst. Viele Weiße haben das noch nicht begriffen, aber wenn sie’s nicht bald kapieren, werden sie’s bereuen.«
»Und dieser Fall hilft dir.«
»Könnte sein. Er ist keine Karrieregarantie, kann aber sehr hilfreich sein. Ich meine, jeder weiße Politiker, der Bürgermeister werden oder Bürgermeister bleiben will, muss sich unbedingt vom guten alten irischen Stil absetzen. Der ist zwar in gewisser Weise ganz amüsant, bringt einen heutzutage aber nicht weiter.«
»Na, toll«, meinte Shade. »Ziemlich direkt.«
Beide grinsten, und Shade empfand einen seltsamen unterschwelligen Stolz, denn er hatte gerade einen Tipp von einem zuverlässigen Informanten erhalten, der noch dazu mit ihm verwandt war. Das war ein gewisses Hinterzimmervergnügen, und Shade konnte sich gut vorstellen, warum der Erfolg so eine anziehende Wirkung hatte.
»Stimmt«, sagte François. »Und das erinnert mich an unsere buntgemischte Familie. Also: Wie geht’s Tip?«
»Er ist so fies wie immer.«
»Sehr beruhigend. Ich werde immer wieder auf ihn angesprochen. Kannst du dir ja sicher vorstellen. Ich wünschte, er würde seinen Namen ändern.«
Shade lachte.
»Ich würde annehmen, ihm geht’s mit uns genauso.«
»Hm. Da kann man wohl nichts machen.«
»Nicht viel.«
Dann gingen die Brüder zum geschäftlichen Teil über. Shade verlor bald den Boden unter den Füßen und schwebte auf einer Fata Morgana aus Familieninteressen, brüderlicher Liebe und Bewunderung für unverstellten Ehrgeiz. Schließlich erklärte er sich bereit, der Einbrecherthese einen Tag lang nachzugehen, solange es keine anderen greifbaren Hinweise gab.
Als sie auseinandergingen, sagte François: »Denk an die Zukunft.«
»Ich werd’s versuchen«, meinte Shade. »Ehrlich. Aber so ganz kann ich mich da nicht reindenken.«
10
Lester Moeller, ein Durchschnittsdieb ohne jeden Ehrgeiz, hatte zwar eine Nase für Hintertürchancen, aber er ging seinen kleinen Klauereien so lasch und mit so wenig Stil nach, dass er immer nur das zusammenstehlen konnte, was ihn mit Mühe und Not über die Runden brachte. Jetzt schüttelte er seinen ungepflegten Kopf mit den fettigen Haaren und hob unschuldig die Arme.
»Wirklich«, säuselte er und sah von Shade zu How Blanchette, »ich mein, ich komm ja kaum aus dem Haus, und schon gar nicht nach Pan Fry.«
»Natürlich nicht. Warum würde sich jemand die Mühe machen wollen, aus diesem Palast hier rauszukommen?«, meinte Blanchette mit einer ausholenden Handbewegung: Hamburgerkartons auf dem Boden, der wacklige, an der Wand festgenagelte Tisch, die Fenster, die nur dank Klebeband in den Rahmen blieben.
»Na ja«, räumte Lester nickend ein. »Zum Pissen muss ich raus, klar. Ich gehöre nicht zu den Typen, die das Waschbecken benutzen. Und zum Kacken muss ich auch raus. Beim Klo hier drin funktioniert die Wasserspülung nicht.«
»Vielleicht solltest du dir eins organisieren, bei dem sie funktioniert«, schlug Shade vor. »Wenn du das nächste Mal rausgehst, meine ich.«
Lester schüttelte den Kopf. Er war jung, aber er kannte sich gut. »Dafür hab ich nicht genug Fachwissen«, entgegnete er. »Das wär kein Ladendiebstahl, verstehen Sie. Man muss wissen, wie man so was angeht. Ich kann Steckdosen aus der Wand montieren, aber von Klempnerei hab ich keinen Schimmer.«
»Schade«, brummte Shade.
»Und überhaupt – wie soll man ein Klo transportieren? Das muss man erst mal in Ruhe planen.«
Vor Jahren, als Shade seinen Lebensunterhalt noch mit Boxen verdient hatte, war er eines Tages von Brouilliards Sporthalle auf den ungepflasterten Parkplatz gegangen und hatte Lester dabei erwischt, wie er gerade das Handschuhfach seines Nova
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