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Im Süden: Die Bayou-Trilogie (German Edition)

Im Süden: Die Bayou-Trilogie (German Edition)

Titel: Im Süden: Die Bayou-Trilogie (German Edition) Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Daniel Woodrell
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zogen sie sich wieder in die vertrauten Gassen zurück, aus denen sie gekommen waren.
    »Gesocks«, brummte Sundown. »Aber sie können nichts dafür. Sie werden nie Bartók von der Bootsy’s Rubber Band unterscheiden können.«
    »Stimmt«, nickte Shade. »Das Leben kann ganz schön traurig sein.«
    Die Schule stammte aus der Depressionsära und zeigte die Handwerkskunst und den Einfallsreichtum der dankbaren Künstler, die hier bereitwillig und für wenig Geld gearbeitet hatten. Die Backsteine waren im Lauf der Jahre durch Dreck und Rauch dunkel geworden, aber noch immer genoss die James Audubon School einen guten Ruf.
    »Vielleicht könnten Sie ein bisschen Dope an die Schüler verscheuern, wenn wir schon mal hier sind«, schlug Shade vor.
    »Pah«, schnaubte Sundown. »Sie haben ja keinen Schimmer, Mann. Heutzutage wollen die Lehrer das Dope. Die brauchen es dringender.«
    »Aha. Also sind Sie ein wichtiger Aktivposten im staatlichen Erziehungssystem?«
    »Ich erfülle meine Bürgerpflichten, ja.«
    Die Basketballplätze und das Baseballkaro hinter der Schule waren von einem hohen Zaun umgeben, dessen Tore nach Schulschluss mit schweren Schlössern verriegelt wurden. Aber die Demokratie hatte sich durchgesetzt, und an mehreren Stellen war der Maschendraht zerschnitten. Gerade wurden die Tore geschlossen. Auf dem Gehweg stand ein kleines hübsches Mädchen in einem gelben Kleid und roten Kniestrümpfen, einen Stapel Notenbücher unterm Arm.
    Das hier ist ja genauso ’ne Zeitverschwendung wie Lester, dachte Shade. Phillips’ Leute waren also überrascht, aber nicht so sehr, dass sie nicht mehr darüber nachdachten, wie man aus der Situation Profit schlagen konnte. Aber wer dann?
    »Rochelle!«, rief Sundown.
    Das Mädchen kam auf ihn zu. Ein aufrichtiges Lächeln erschien auf ihrem Gesicht, und sie hüpfte ein Stück auf ihren Vater zu, bis sie sich auf die Würde ihres Alters besann und gesetzteren Schrittes weiterging.
    Sundown beugte sich zu ihr hinab und küsste sie auf die Wange.
    Das ist derselbe Mann, dachte Shade, derselbe Mann, von dem die geheimsten der geheimen Gerüchte behaupten, er hätte zwei Syrer aus St. Louis mit den Armen zusammengeknotet und sie dann zum Steinetauchen in einen entlegenen Sumpf geschickt.
    »Heute haben wir Chopin gehört, Dad«, berichtete Rochelle strahlend. »Und wir haben ›Yankee Doodle Dandy‹ geübt.«
    »Hören Sie«, mischte sich Shade ein. »Mir wird ganz warm ums Herz und alles, aber ich muss ein paar Sachen klären.«
    »Ich korrigiere: eine Menge Sachen.«
    »Wie banal. Also, sollen wir uns hier unterhalten wie brave Bürger oder lieber in die Second Street gehen und uns dort so benehmen, wie wir wirklich sind? Sie können wählen.«
    »Hören Sie zu«, entgegnete Sundown. »Ich habe keine Ahnung, worum es geht. Glauben Sie denn, wenn ich es wüsste, würde ich in meinem Büro rumhocken und reden ? «
    »Ist das alles, was Sie dort machen?«
    Eine Autohupe ertönte, und als Shade sich umdrehte, sah er, wie Blanchette mit quietschenden Reifen in seinem Chevy angebraust kam. Als Blanchette auf Shades Höhe war, bremste er und rief ihm zu: »Komm schnell! Irgendwas ist auf der Seventh Street passiert, da sind wir zuständig!«
    Ohne ein weiteres Wort sprang Shade ins Auto. Er war dankbar, dass endlich etwas passierte, und erpicht auf ein handfesteres Problem.

11
    Schließlich erkannte er den Fluss. Er war schon ein paar Minuten neben ihm hergerannt, bis ihm aufging, dass die große, flache, fließende Masse Dunkelheit ein Wegweiser zu seiner Wohnung war. Aber ging er überhaupt in die richtige Richtung?
    Jewel versuchte, sich zu orientieren. War das Osten? Oder Süden? Keine hilfreichen bemoosten Bäume, um die Frage zu beantworten, also war alles ein reines Glücksspiel. Sein Gesicht war knallrot, der Schweiß lief ihm in Strömen über den Rücken. Die blonde Tolle, auf die er normalerweise größten Wert legte, hatte sich in eine Frisur der Verzweiflung verwandelt.
    Nein, da ist die Sonne. Da ist die Sonne!
    Uuh, der Kopf des Manns war übel zugerichtet, aber vielleicht ist er trotzdem nicht tot.
    Hier lang, das ist bestimmt der richtige Heimweg. Da ist die Sonne!
    Obwohl seine Lunge schmerzhaft an seinem Herzen kratzte, begann er wieder zu rennen. Er folgte den Eisenbahnschienen, die parallel zum Fluss verliefen. Zwischen den Schienen und dem Fluss war dichtes Unterholz, aber davor standen Lagerhäuser mit kaputten Scheiben, wo lauter Arbeiter mit Lunchpaketen

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