Im Tal der bittersüßen Träume
zeigen Sie mir, wie man damit umgeht. Ich habe keine Ahnung.«
»Ich helfe bei keinem Mord.«
Lagarto starrte seine Tochter und Dr. Högli an, wartete noch eine Minute, zuckte dann mit den Schultern und verließ das Zimmer. Später sahen die Indios, die das Hospital bewachten, wie er aus dem Geräteschuppen kam, eine Axt in der Hand und in der ausgebeulten Jackentasche einen langstieligen Hammer. Ihre schwarzen Augen folgten ihm gleichgültig, wie er zum Wagen zurückging, sich an den Kühler lehnte, die Axt auf den Sitz warf und dann wie gebannt zu den Bergen blickte, die als zerklüftete schwarze Wände in den fahlen Nachthimmel ragten – eine unüberwindliche Mauer, ein mit Felsen gepolstertes, riesiges Grab.
Als Lagarto sich endlich entschlossen hatte, auf die brutalste Art, nämlich mit einer Axt oder einem Hammer, Jack Paddy zu erschlagen, klapperte durch die Dunkelheit das Vehikel von Pater Felix heran. Da man es schon von weitem hörte, wurden die still hockenden Indios lebendig, sie liefen zusammen und erwarteten ihren Padre offensichtlich mit so viel Glauben und Hoffnung, daß Lagarto plötzlich verstand, warum diese armen Menschen bis zu einer gewissen Grenze fähig waren, sich ihre Menschlichkeit zu erhalten, zu hungern, zu dursten und sogar zu sterben, ohne daß der nackte Selbsterhaltungstrieb sie überwältigt hatte.
Pater Felix hielt mit kreischenden Bremsen vor dem Hospital und sprang aus dem Jeep. Juan-Christo folgte ihm, weniger forsch, eher zögernd. Die Tür wurde aufgerissen; im Lichtschein, der nach draußen flutete, standen Dr. Högli und Evita. Lagarto riß den Hammer aus der Jackentasche, warf ihn neben die Axt in den Wagen und rannte Pater Felix nach.
»Es muß etwas geschehen!« rief Felix schon auf halbem Weg. »Riccardo, ich weiß mir keinen Rat mehr! Zum erstenmal …« Er blickte sich um, sah Lagarto heranhetzen und zeigte mit ausgestrecktem Arm auf ihn. »Vielleicht kann er helfen! Señor Meskalin, Sie können ein Prozent von Ihrer Schuld abtragen!«
Lagarto senkte den Kopf. Señor Meskalin … Vor wenigen Stunden hatte er vor dem Altar neben Pater Felix gesessen und versucht, so etwas wie eine Beichte über seine Lippen zu bekommen. Er hatte um eine Rechtfertigung gerungen, und sie war kläglich mißlungen. Was gab es auch an Entschuldigungen, wenn man mit Rauschgift Millionen verdient und den Menschen abwechselnd Himmel und Hölle verkauft?
Pater Felix hatte den Verzweifelten nicht unterbrochen, er hatte ihn aussprechen lassen, aber gerade weil er nichts sagte, war es um so fürchterlicher, von selbst zu der Einsicht zu kommen, daß man ein Lump war und nur Gott allein – wenn man an Gott glaubte – verzeihen konnte. Er hatte sich in den letzten dreißig Jahren nie um Gott gekümmert, und nach einer Stunde qualvollen Sprechens war er ausgeleert und hatte zu Pater Felix gesagt: »Ich danke Ihnen, daß Sie mich nicht unterbrochen haben, Pater. Es gibt für mich keine Rechtfertigung mehr! Nur eins müssen Sie mir zugestehen: Auch ich empfinde Liebe. Ich habe eine Tochter, an ihr hängt mein ganzes Herz. Ich bin bereit, alles aufzugeben, nur meine Tochter nicht. Helfen Sie mir, daß Evita mich nicht mehr haßt. Bitte, Pater!«
Aber auf dieser Erde gab es für ihn kein Verzeihen mehr. Das bedeutete dieses ›Señor Meskalin‹.
»Was ist passiert, Felix?« rief Dr. Högli. »Eine neue Gemeinheit von Paddy?«
»Er wird zu keiner neuen Gemeinheit mehr fähig sein. Ich komme gerade von ihm. Er läßt nicht mit sich sprechen.« Pater Felix setzte sich draußen vor die Hauswand auf eine der Wartebänke und zeigte auf Juan-Christo, der langsam näher kam. »Laßt euch von ihm berichten, was sie sich im Dorf ausgedacht haben! Es ist ungeheuerlich! Wir werden gleich zur Kirche zurückkehren, und ich werde die Glocke läuten! Zum Sturm auf die Hacienda!« Pater Felix schlug die Hände über dem Kopf zusammen. »Mein Gott, es bleibt keine andere Wahl!«
»Was ist los, Juan?« Dr. Högli blickte Juan-Christo fordernd an. Aus dem Hospital stürzte Matri, stieß einen spitzen Schrei aus und warf sich in die ausgebreiteten Arme ihres Mannes. Ximbarro senkte den Kopf. »Was ist los?« brüllte Dr. Högli.
»Wir haben Rosalie Chiraxetl zu Paddy ins Bett geschickt«, sagte Juan-Christo zögernd. »Für ein ganzes Faß voll Wasser …«
Dr. Högli wandte sich zu Pater Felix um. »Das läßt dich aus den Pantoffeln kippen? Ist Rosalie ein besonders gläubiges Mädchen?«
»Weiter, Juan!«
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