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Im Tal der Giganten

Im Tal der Giganten

Titel: Im Tal der Giganten Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Wolfgang Hohlbein
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es uns wahrscheinlich mitgenommen. «
»Oh«, sagte Juan. Mehr nicht - aber der betroffene Ausdruck auf seinem Gesicht machte auch jedes weitere Wort
überflüssig. Zumindest er hatte vollends begriffen, worauf
Mike hinauswollte.
»Du meinst, die Insel taucht manchmal auf und verschwindet wieder?« fragte Ben. »Und du meinst weiter,
sie nimmt dabei nur die Dinge mit, die zu ihr gehören,
nichts Fremdes, wie?« »So ungefähr«, bestätigte Mike.
Ben machte eine Geste, als wollte er seine Worte zur
Seite fegen. »Selbst wenn es so ist«, sagte er. »Wir brauchen doch nur wieder hinunterzuklettern und abzuwarten,
bis es wieder passiert. Danach landen wir dann
automatisch wieder in unserer Welt. « »Hinunterklettern?
Ohne Seil? Und selbst wenn - weißt du noch genau, wo
die Boote waren, oder möchtest du es riskieren, dich
plötzlich im eiskalten Wasser wiederzufinden und in einer
Brandung, die dich sofort gegen die Felsen schmettert?«
»Hört auf zu streiten«, sagte Trautman müde. »Das nutzt
uns jetzt auch nichts mehr. Wir werden jetzt Singh suchen,
und dann überlegen wir gemeinsam, was wir weiter tun. «
Er drehte sich einmal im Kreis. »Ich verstehe gar nicht, wo
er bleibt. «
»Vielleicht hat er sich verirrt?« fragte Chris. »Kaum«,
erwiderte Trautman kopfschüttelnd. »Singh würde
niemals... «Er brach ab und runzelte nachdenklich die
Stirn. »Dieser Nebel«, murmelte er. »Ich kann mich gar
nicht erinnern, daß er vorhin da war. « Mike hingegen
konnte sich sehr wohl erinnern - nämlich daran, daß es vor
einer Minute hier oben ganz bestimmt nicht nebelig
gewesen war. Sein Blick war weit und ungehindert über
eine schier endlose weiße Einöde gegangen, die so groß
war, daß sie mit dem Horizont verschmolz, ehe man ihr
Ende erkennen konnte. Jetzt konnten sie kaum noch
hundert Meter weit sehen. Und die Sicht wurde immer
schlechter. Graue Schwaden trieben plötzlich zwischen
Himmel und Erde, und in der Luft lag ein sonderbarer,
feuchter Geruch, der vorhin auch noch nicht dagewesen
war. Ganz wie unten am Strand erreichte sie der Nebel
nicht wirklich, sondern stoppte seinen Vormarsch in einer
Entfernung von fünfzehn oder zwanzig Metern, aber
ebenso wie dort sahen sie sich schließlich von einer
undurchdringlichen Mauer aus wattigem Grau
eingeschlossen. Auch hier formte der Nebel einen
Halbkreis, dessen gerade Fläche von der Eiswand gebildet
wurde - nur daß diesmal ein Abgrund hinter ihnen lag,
keine Wand. Aber Mike begriff plötzlich, daß die Fläche,
die der unheimliche graue Dunst freiließ, immer einen
perfekten Kreis darstellte, der von der eisigen Barriere in
zwei präzise gleiche Hälften geteilt wurde. »Unheimlich«,
flüsterte Ben. »Das ist beängstigend. « »Ja, und ich
fürchte, Singh ist irgendwo dort drinnen«, sagte Trautman.
»Vermutlich ist das der Grund, aus dem er nicht
zurückgekommen ist. Vielleicht kann er es gar nicht mehr.
«
Ben riß entsetzt die Augen auf und starrte Trautman an.
»Sie wollen doch nicht etwa dort hineingehen und ihn
suchen?« keuchte er.
»Hast du eine bessere Idee?« fragte Mike. Er machte eine ausholende Bewegung, die die freigebliebene Fläche
einschloß. »Du kannst natürlich hierbleiben und darauf
warten, daß ein Wunder geschieht«, sagte er. »Aber ich
fürchte eher, daß du erfrieren wirst - oder verhungern. Ich
gehe jedenfalls und suche Singh. « Ben wurde noch
bleicher, aber Trautman sagte: »Also gut. Gehen wir. Aber
bleibt dicht zusammen. Wenn wir uns in diesem Nebel
verlieren, finden wir uns nie mehr wieder. «
Sie hatten sich an den Händen ergriffen und formten so
eine Kette, deren Anfang Trautman und dessen Ende Juan
bildeten, aber der Nebel wurde bald so dicht, daß Mike
nicht einmal mehr den vor ihm gehenden Ben wirklich
erkennen konnte. Er fühlte seine Hand, und er sah einen
verschwommenen dunklen Umriß vor sich, aber mehr
nicht. Und der Nebel verschluckte nicht nur jedes bißchen
Licht, er schien auch ihre Stimmen aufzusaugen. Sie riefen
immer wieder Singhs Namen, doch das einzige, was Mike
hörte, war seine eigene Stimme: kein Echo, nicht die Rufe
der anderen. Er hätte nicht einmal sagen können, wie
lange sie durch diesen Nebel stolperten. Vielleicht
Stunden, vielleicht nur Minuten. Es war, als bewegte er
sich durch einen Traum, in dem die Wirklichkeit zu grauer
Irrealität zerrann, und er hätte sich nicht einmal mehr
gewundert, hätte er sich schließlich selbst in diesem
Universum aus wogendem Grau aufgelöst.

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