Im Tal der roten Sonne - Australien-Saga
ihm alle ausgeliefert«,
sagte Kim. Ihr normalerweise heiterer Gesichtsausdruck war verschwunden, ein Beweis dafür, wie besorgt sie darüber war, dass diese Möglichkeit eintreten würde.
Paul streckte Tran die Hand entgegen, und der Vietnamese schlug ein. »Ich bin Ihnen unendlich dankbar. Sie waren eine große Hilfe. Diese Information ist der Durchbruch, den ich brauche.« Er zwinkerte den beiden verschwörerisch zu. »Es ist jedoch äußerst wichtig, dass wir das alles erst mal für uns behalten. Sagt niemandem etwas davon, nicht einmal Carla und Angie. Okay?«
»Okay«, versprachen Kim und Tran einstimmig.
Kurz darauf saßen die beiden Loongs wieder auf dem Motorrad und knatterten Pauls lange Einfahrt hinunter auf die Straße zu. Kim lächelte, während der Wind ihr Haar zerzauste. Sie war stolz auf ihren Bruder, weil er das Richtige getan und Paul alles erzählt hatte. Sie hatte einige Überzeugungsarbeit leisten müssen, bis er sich einverstanden erklärt hatte, mit Paul zu reden, denn er wollte sich nicht in schmutzige Geschäfte verwickeln lassen. Aber schließlich hatte er Mut bewiesen und getan, was richtig war. Dies gab Kim die Hoffnung, dass er endlich erwachsen wurde. Und sie war doppelt erfreut darüber, denn in der letzten Zeit hatte sie Anzeichen gesehen, dass er versuchte, seine Spielsucht in den Griff zu bekommen. Darum betete sie jeden Tag zu Buddha.
Carl Stenmark saß in dem bequemen Sessel, den ihm das Genesungsheim zur Verfügung gestellt hatte. Seine blauen Augen ruhten auf den Vorhängen, die sich in der Nachmittagsbrise leicht bewegten. Er lernte gerade eine heilsame Lektion, die darin bestand, etwas zu tun, was seinem Wesen völlig fremd war - nämlich gar nichts, und das tagaus,
tagein. Nach Aussagen seiner Ärzte war es genau das, was er brauchte, um sich zu erholen. Obwohl das Nichtstun für ihn äußerst schwierig war, hielt er sich, wenn auch mit einigem Widerstreben, wortwörtlich an ihre Anweisungen.
Die Tätigkeit, für die er jetzt eine Menge Zeit hatte, war... Nachdenken! Er dachte an Anna Louise und wie sehr er nach wie vor ihre Gesellschaft vermisste - nach mehr als dreißig Jahren… Und er dachte an Rhein-Schloss. Das Unternehmen hatte ihm seit seiner Jugendzeit eine Aufgabe und später einen gewissen Stolz auf das, was er erreicht hatte, gegeben. Er hatte es zur nahezu besten Weinkellerei im Barossa Valley gemacht. Er musste auch an Kurt und Marta und Rolfe denken, und dies wiederum lenkte seine Gedanken auf Rolfes leidenschaftliche, starrköpfige Tochter und Sam, seinen Urenkel.
Carla, die seiner verstorbenen Frau so ähnlich sah. Wenn er Rolfes Tochter ansah, wurde sein Herz weit, und die Erinnerungen an Anna Louise kamen mit erstaunlicher Klarheit zurück, der Schmerz, sie zu verlieren, und die Freude, sie geliebt zu haben. Er schüttelte sein weißes Haupt und zwang sich dazu, seine Gedanken auf etwas anderes zu konzentrieren. Was für ein dummer alter Mann er war, so melancholisch zu sein. Das führte zu gar nichts. Vielleicht sollte er sich an die Probleme mit seinem erstgeborenen Sohn und Rolfe erinnern, obwohl das schon so lange her war. Alles, was er während all der Jahre und der vielen Arbeit vorzuweisen hatte, war … Luke, und ach ja, er konnte es nicht länger abstreiten, Carla und Sam. Rolfes Tochter und sein Urenkel waren mit ihm verwandt, das war eine unbestrittene Tatsache. Er konnte nicht leugnen, und dies war ein ziemlich großes Zugeständnis, dass sie ihm in seinem Herzen verbunden waren, gleichgültig,
was seine jüngste Tochter an Gehässigkeiten verspritzte.
Irgendwie konnte er nicht glauben, dass Carla berechnend war. Er schüttelte den Kopf und stieß einen tiefen Seufzer aus. Nicht so wie Lisel. Von all seinen Kindern und Luke war sie diejenige, die am gierigsten, analytischsten und dazu am zynischsten war. Lisels Verhalten hatte ihn jahrelang verwirrt und enttäuscht. Tief im Innern war sie eine unglückliche, unzufriedene Frau, die seiner Meinung nach keinen Grund hatte, so unzufrieden zu sein. Zwei gescheiterte Ehen und mehrere kurze Affären im und außerhalb des Valleys schienen Lisels Charakter noch verschlimmert zu haben. Seine Familie glaubte, dass sie alles vor ihm geheim halten konnte, dass er nichts bemerkt hatte. Aber ihm war aufgefallen, dass die ruhige, heitere Greta sich in der Vergangenheit Lisels starkem Willen gebeugt hatte, dass das bei Carla jedoch nicht mehr der Fall war. Und dass Luke, der loyale Neffe, seine Tante
Weitere Kostenlose Bücher