Im Tal der roten Sonne - Australien-Saga
so gut er konnte schützte. Carl wusste alles. O ja, er wusste auch, was für eine Art von Frau Lisel war.
Und jetzt auch noch zusätzliche Komplikationen in der Familie! Luke hatte angeblich Gefühle für Carla! Wenn das wirklich stimmte und nicht nur eine vorübergehende Leidenschaft war, würde er gezwungen sein, einige Änderungen vorzunehmen. In seinem Alter und seiner Situation musste er praktisch vorgehen. Er konnte es sich nicht leisten, seinen Enkel von ihm zu entfremden oder ihn zu verlieren. Luke war dazu bestimmt, Rhein-Schloss zu übernehmen, und wenn das hieße, dass er sich den Erwerb von Krugerhoff aus dem Kopf schlagen und Carla in die Familie aufnehmen müsste, würde er seinen Stolz überwinden, die Vergangenheit ruhen lassen und es einfach tun.
Außerdem, fragte er sich, wäre das denn so schwer? Mit
Ausnahme von Lisel mochte jeder in der Familie Carla. Sogar er musste zugeben, dass sie seinen Respekt verdiente. In der Tat hatte er eine winzige Zuneigung für seine resolute rothaarige Enkelin und deren Sohn. Das war ein großes Eingeständnis, etwas, das er sich vor zwölf Monaten nicht hätte vorstellen können.
Nun wurde er der Gedankenspiele überdrüssig, und er stand unsicher auf, um in dem weitläufigen Garten des Sanatoriums einen Spaziergang zu machen.
Vier Wochen nach seinem Herzinfarkt war Carl wieder auf Rhein-Schloss und widmete sich der Leitung des Unternehmens. Er arbeitete jedoch nur noch von 10 Uhr bis 15.30 Uhr.
Eines Nachmittags, während er in seinem Arbeitszimmer die Post las, kam Greta mit einem kleinen Buch, das sie wie ein Kleinod trug, zu ihm. »Wie geht’s dir, Papa?«
Er sah zu ihr auf. »Sehr gut, meine Liebe. Ich bin so fit, wie schon seit Jahren nicht mehr.«
»Das ist gut, weil...«, Greta biss sich auf die Lippe und zögerte.
»Was ist los, Greta?«
Sie atmete tief durch und nahm all ihren Mut zusammen. »Ich denke, du solltest das hier mal lesen.«
»Du weißt doch, dass ich keine Romane mag.« Er blinzelte sie missmutig an.
»Es ist ein Tagebuch, Papa. Rolfes Tagebuch, das er vor langer Zeit geschrieben hat, bevor er Stenhaus verlassen hat.«
Carl schnaubte. »Warum sollte ich das lesen?«, fragte er schroff. Verärgert warf er den Brieföffner auf den Schreibtisch. »Ich habe keine Lust, die alten Erinnerungen auszugraben. Das führt zu nichts.«
»Das Tagebuch wird die Geschehnisse damals ins rechte Licht rücken«, erklärte sie beharrlich. »Und um Rolfe, Carla und Sam gegenüber fair zu sein, solltest du es lesen.«
»Von wem hast du es erhalten?«
»Von Carla, Papa.«
Er warf ihr einen strengen Blick zu, der sie normalerweise zur Flucht veranlasst hätte. Doch er war überrascht, als das nicht geschah. »Loyalität gehört zu den Dingen, die ich bewundere. Und du, Greta, hast eine ganze Menge davon. Also gut, lass das Tagebuch hier. Wenn ich etwas Zeit habe, werde ich es lesen.«
Offensichtlich erleichtert, reichte Greta ihm das abgewetzte Tagebuch. »Ich werde dir jetzt deinen Kaffee bringen, Papa«, sagte sie als Friedensangebot und ging dann so schnell sie konnte aus dem Zimmer, ehe er seine Meinung ändern konnte.
Carl legte das modrig riechende Tagebuch auf die rechte Seite des Schreibtisches. Später , dachte er, um das Unvermeidliche aufzuschieben. Er würde es später lesen.
Carl las das Tagebuch mit der ausgeblichenen Handschrift zwei Mal. Nach dem Abendessen, als das Tageslicht langsam schwand, machte er einen Spaziergang im Garten und blieb in der Nähe des Swimmingpools stehen. In seinem Kopf herrschte ein wirres Durcheinander aus Gedanken und Erinnerungen - was er zu Rolfe gesagt hatte, die Antworten seines jüngeren Sohnes, und wie er sie zurückgewiesen und stattdessen Kurt und der wahrhaftig nicht so unschuldigen Marta geglaubt hatte.
Lieber Himmel, wie ungerecht er gewesen war! Anstelle von gesundem Menschenverstand und logischem Denken hatte er seine Wut walten lassen. Dafür gab es keine
Rechtfertigung, weder damals noch heute. Es war ihm nicht gerade angenehm, dass er so ehrlich mit sich war. Er musste zugeben, dass seine Entscheidung damals zum großen Teil durch die aufsässige Art seines jüngeren Sohnes beeinflusst worden war sowie einem irrationalen Bedürfnis, ihn dafür zu bestrafen, dass er selbstständig gehandelt hatte. Aber warum? Diese Frage ging ihm im Kopf herum. Warum hatte er so hart reagiert? Selbst jetzt, nach all den Jahren, in denen er über das Geschehene nachgedacht und es analysiert
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