Im Tal der roten Sonne - Australien-Saga
ihre Schlafanzüge, und Sam hatte über seinen Pyjama einen Pullover an, den sie irgendwann mal bei Paul vergessen hatte. Er war viel zu groß für ihn, aber das war ihm egal. Su Lee trug eine Jacke von Kim. Im Gegensatz zu den Erwachsenen störte sie die Kälte nicht - wie es oft bei Kindern der Fall ist.
Sie hörte Schritte und wandte sich vom Fenster ab. Angie war gerade aus der Stadt und vom Weingut zurückgekommen. »Wie stehen die Dinge?«
»Für die Leute im Valley ist’s ein Festtag. Die Nachricht von der Brandstiftung ist in aller Munde, und die Leute fahren dort ständig vorbei, um sich alles anzuschauen. Einige, die keine Ahnung haben vom Ausmaß des Schadens, haben Lebensmittel und Vorräte dagelassen. Die O’Malleys«, Angie bemerkte Carlas ratlosen Gesichtsausdruck und erklärte, »das sind die Leute, die auf der anderen Bergseite wohnen und sechs Kinder haben. Also, die wollen Sam und Su Lee Kleidung besorgen. Das finde ich sehr nett von ihnen.«
»Ja, allerdings. Und was ist mit dem Weingut?«
»Ich glaube, wir haben Glück im Unglück gehabt, was allerdings auch langsam Zeit wird.« Angie schnaufte verdrossen. »Ich habe die Fässer untersucht und einige Proben genommen. Der Gärungsprozess verläuft genau nach Plan und scheint von der Hitze des Feuers nicht betroffen
zu sein. In den nächsten dreiundsechzig Stunden wissen wir mehr.«
»Das wäre ja wunderbar.«
Mehr noch als ihre Worte veranlasste Angie der Ton von Carlas Stimme, sie kritisch zu betrachten. »Okay, was gibt’s Neues? Warum bist du so gar nicht verzweifelt darüber, was passiert ist?«
Jetzt tat Carla etwas, was ihrem Wesen überhaupt nicht entsprach. Sie tanzte um den Kaffeetisch herum und stellte sich dann direkt vor Angie. »Ich kann einfach keine Geheimnisse vor dir haben, oder? Ich bin verliebt. Und wenn man verliebt ist, wird all das, was man vorher für unmöglich hielt, plötzlich möglich.«
Angie stieß einen Seufzer aus und versuchte, sich ihre Enttäuschung nicht anmerken zu lassen. »In wen denn? In Luke?«
»Nein, du Dummchen.« Carlas blaue Augen blitzten. »In Paul.«
»Gott sei Dank. Da freue ich mich ehrlich für euch beide. Kurzfristig war ich wirklich besorgt.« Angie umarmte Carla begeistert. »Ich bin froh, dass du den Richtigen gefunden hast. Du hättest dir keinen besseren Mann aussuchen können als Paul.« Mit einem Augenzwinkern fügte sie hinzu: »Wenn ich fünfzehn Jahre jünger wäre, hätte ich mich mit dir um ihn gerauft.«
Carla giggelte vergnügt, und ihre Wangen färbten sich rosa, als sie gestand: »Wir werden heiraten.«
»Himmel, das muss man Paul lassen: Wenn er sich erst einmal in Bewegung setzt, geht es ziemlich fix.«
Carla errötete noch mehr. »Das kann ich nicht abstreiten.« Unvermittelt erfasste sie eine starke Unruhe. Übergangslos griff sie sich fahrig ins Gesicht, lief nervös im Wohnzimmer umher und räumte hektisch auf.
Intuitiv erkannte Angie, dass es sich um ein verzögertes Stresssyndrom handelte. »Du und Sam und die Loongs, ihr habt Schreckliches durchgemacht. Es wird eine Weile dauern, bis ihr das verarbeitet habt. Vielleicht solltest du einen Arzt oder Therapeuten aufsuchen, Carla.«
Carla schüttelte heftig den Kopf. »Mir geht es gut. Ich muss nur dafür sorgen, dass ich beschäftigt bin, wenn Sam wieder in der Schule ist. Aber wir müssen über die Zukunft reden, die Zukunft von Sundown Crossing. Wie sollen wir vorgehen?«
Angie atmete tief durch und hakte ihre Daumen in die Taschen ihrer Jeans. »Alles zu seiner Zeit, Liebes. Wir sollten uns noch ein paar Tage Zeit lassen, dann können wir die Dinge nüchterner betrachten und entscheiden, was wir tun wollen. Okay?«
Carla lächelte dankbar. »Okay. Jetzt brauche ich einen Kaffee. Möchtest du auch einen?«
»Natürlich.«
Einträchtig gingen die beiden Frauen in Pauls Küche.
Josh konzentrierte sich auf die vor ihm liegende Straße und machte sich nicht die Mühe, die Landschaft um sich herum wahrzunehmen. Seit den späten Morgenstunden war er unterwegs und fuhr in nordöstliche Richtung auf Broken Hill und die Grenze zu. Die Sonne, die schon ziemlich tief stand, war direkt hinter ihm. Er hatte vor, bis tief in die Nacht hinein zu fahren und die größtmögliche Distanz zwischen sich und dem Valley zurückzulegen. Seine Pläne, das Weingut in Pokolbin zu kaufen, waren erst einmal auf Eis gelegt, worüber er stinksauer war. Lisel hatte ihm befohlen, aus Australien zu verschwinden. Wenn sein alter
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