Im Tal der roten Sonne - Australien-Saga
Suche nach einer Stütze und der Wärme der Sonne. Angie sagte, dass sie mit dem, was sie und Carla erreicht hatten, zufrieden sei. Dadurch, dass die Reben in den Wintermonaten zurückgeschnitten worden waren, waren sie jetzt kräftig und erpicht darauf zu wachsen. Beinahe Frühling. Carla stand einen Moment schweigend da und überlegte …
Es war die Jahreszeit, die ihr Vater so geliebt hatte. Frühling - Erneuerung, die Bestätigung des Lebenszyklus durch die Natur, wie er es genannt hatte. Einige Sekunden kniff sie die Augen zusammen und spähte dann nach oben. Der Nebel am Fluss begann sich langsam aufzulösen, und in ihrer Fantasie konnte sie ihren Vater an den Rebstöcken entlangschreiten sehen, wie er es jahrelang getan hatte. Sie sah, wie er stehen blieb, um die Reben zu befühlen, und liebevoll über die Blätter strich und die Ranken um die Drähte wickelte. Sie spürte einen Kloß in ihrer Kehle und schluckte schwer. Sie vermisste ihn, ebenso wie Angie und Sam ihn vermissten. Deshalb arbeitete Angie auch so hart.
Es war ihre Art, mit dem Schmerz fertig zu werden, mit dem Verlustgefühl und der Einsamkeit.
»Mum, komm jetzt«, rief Sam ungeduldig vom Rand des Feldes, dort, wo es an das dichte Gebüsch grenzte und die großen Bäume, die am oberen Flusslauf standen.
Carla schloss zu ihm auf und fuhr ihm durch das Haar. »Ich bin schon da.«
Sam sah zu ihr auf. »Josh hat gesagt, dass er einmal ein Schnabeltier im Fluss gesehen hat. Ich werde nach ihm suchen.«
»Wirklich?«, rief Carla. Sie kämpften sich durch das dichte Gebüsch bis zum Ufer des Flusses und kletterten über eine Reihe von Felsen, was Sam großen Spaß machte. »Ich bin kein Experte in australischer Fauna, Schatz, aber ich glaube, der Fluss fließt zu schnell für Schnabeltiere. Ich glaube, sie ziehen stillere Gewässer vor.«
Als sie den Namen Josh hörte, dachte sie sofort an den Betriebsleiter von Rhein-Schloss. Zu ihrer Überraschung hatten sie sich ein paarmal miteinander verabredet. Das war Joshs Überredungskünsten zu verdanken gewesen. Zweimal war Sam dabei gewesen, und Josh hatte ein großes Getue um ihren Sohn gemacht, was Sam unendlich gut gefallen hatte. Die Art und Weise, wie Sam auf Josh reagierte, gab ihr zu verstehen, dass ihr Sohn seit dem Tod ihres Vaters kein männliches Vorbild in seinem Leben mehr gehabt hatte, obwohl Paul oft auf Besuch und manchmal auch zum Abendessen ins Cottage kam. Sam und Josh hatten zusammen Football und Frisbee im Park gespielt, und Josh hatte ihm Vögel gezeigt, die er kannte, und einmal hatten sie einen riesigen Waran gesehen, der eine umgekippte Mülltonne durchwühlte.
Josh bemühte sich eindeutig um sie und Sam, und sie hatte ein schlechtes Gewissen, weil sie bereits nach ihrer
zweiten Verabredung gewusst hatte, dass sie keine engere Beziehung mit ihm eingehen wollte. Sie fühlte sich körperlich nicht von ihm angezogen. Gleichwohl hatte sie ihn dazu benutzt, um Informationen über die Stenmarks von ihm zu erhalten, die er ihr auch anstandslos gegeben hatte. Sie hatte erfahren, dass ihr Großvater nahezu ein Einsiedler war. Obwohl er den ganzen Tag in seinem Büro auf Rhein-Schloss verbrachte, ging er danach sofort nach Hause und ließ sich nur selten in der Öffentlichkeit blicken, und das auch nur, wenn es aus geschäftlichen Gründen erforderlich war. Josh erzählte ihr, dass Greta, Luke Michaels’ Mutter, das umgänglichste Mitglied der Familie sei und dass Lisel... Josh, der über alles eine Meinung hatte, sagte nur sehr wenig über Lisel, was Carlas Neugier weckte. Sie wollte unbedingt noch mehr über ihre scharfzüngige Tante erfahren.
Das Problem dabei war nur: Wen konnte sie fragen? Vielleicht Paul. Oder die Conrads. Angie hatte die beiden für morgen zum Abendessen eingeladen. Ja, dachte sie, während sie von einem Felsen zum anderen sprang und versuchte, Sam einzuholen, vielleicht würde sie von den Conrads mehr Informationen bekommen als von ihrem Chef.
Es war schwierig für sie, sich Paul als Chef vorzustellen. Er war so locker und unkompliziert. Er war geduldig mit ihr, wenn sie Fehler machte, und beantwortete gerne all ihre Fragen. Darüber hinaus bestärkte er sie in ihrem Wunsch, Winzerin zu werden. Sie schaute nach vorne, um Sam nicht aus den Augen zu verlieren. Er hatte einen langen Stock gefunden und stocherte damit im Wasser herum. »Sei vorsichtig, Sam, der Fluss ist ziemlich schnell.«
»In Ordnung, Mum«, rief er zurück. »Ich glaube, ich habe einen
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