Im Tal der roten Sonne - Australien-Saga
irgendein Nachtvogel? Es klang nicht so wie irgendetwas, das ihr vertraut war. Sie lauschte ein paar Sekunden in die Stille, die darauf folgte, zuckte die Schultern und wollte gerade wieder in den Wohnwagen steigen, als sie das Geräusch wieder hörte. Es kam von einem Menschen - der Schrei einer Frau! Ein Schauder lief ihr den Rücken hinunter, weil das Geräusch Erinnerungen an andere Laute in ihr weckte, die sie vor vielen Jahren auf den Straßen von Saigon gehört hatte. Überfälle, Bandenangriffe, Vergewaltigungen.
Wer konnte da schreien, und aus welchem Grund? Wo kam das Geräusch her? Aus dem Cottage, der Weinkellerei? Sie war höchst besorgt, eilte zum Cottage und klopfte an die Hintertür. Keine Antwort. Sie betrat das hell erleuchtete Haus, aber keiner war da mit Ausnahme von Sam, der in seinem Bett lag und schlief. Sie hastete wieder nach draußen und lauschte, da sie erwartete, das Geräusch noch mal zu hören. Es war totenstill. Sie sollte in der Weinkellerei nachsehen. Dort war alles ruhig, und Angie, die sie nicht stören wollte, saß über einigen Glasfläschchen und Reagenzgläsern gebeugt da und überprüfte den Gärungsprozess. Angie war also da, aber wo war Carla?
Hatte sie etwa nur geträumt? Alles schien in Ordnung zu sein. Der Mond tauchte das Grundstück in ein gespenstisches Licht. Jetzt war alles still. Kim konnte Carla nirgendwo entdecken und war beinahe davon überzeugt, dass sie sich den Schrei nur eingebildet hatte. Sie wollte gerade in ihren Wohnwagen zurückgehen, als sie einen kleinen Lichtfleck bei den Weinstöcken sah. Das Licht flackerte, verschwand und flackerte erneut. Dort sollte überhaupt kein Licht sein, was war das? So schnell sie das in der Finsternis schaffte, denn sie spürte plötzlich die Gefahr - ein Instinkt, den sie schon seit ihrer Jugendzeit hatte -, lief sie auf den Lichtstrahl zu. Und blieb vor Entsetzen wie angewurzelt stehen. Carla wurde soeben von einem Mann attackiert!
Kim zögerte keine Sekunde. Klein und behände, wie sie war, sprang sie dem Mann auf seinen Rücken und griff mit ihren Fingern in sein Gesicht. Mit den Nägeln versuchte sie, ihm die Augen auszukratzen.
»Lass sie los, du Schwein.« Jahrelang aufgestauter Zorn darüber, dass sie missbraucht und von ihren Eltern verstoßen worden war, kochte in ihr hoch. Sie trat nach ihm.
Ihre Zähne fanden sein Ohr, und sie biss so fest zu, wie sie konnte.
Vor Schmerz brüllend, versuchte der Mann, den überraschenden Angreifer loszuwerden. Kims Arm legte sich wie ein Schraubstock um seinen dicken Hals und drückte gegen seinen Adamsapfel. »Ich bringe dich um, du Mistkerl.«
Einen Moment lang vergaß Josh, was er Carla antun wollte. In wilder Wut drehte er sich um und versuchte, die klammernde Hyäne abzuschütteln. Schließlich gelang es ihm. Sie rollte sich von ihm herunter, aber dann war sie sofort wieder auf den Beinen und trat ihn wie von Sinnen in alle möglichen Körperteile. Carla, die sein Gewicht endlich los war, hatte noch so viel Energie übrig, um ihr Knie zu heben und ihm kräftig in die Eier zu treten.
»Au! Verdammte Scheiße!«, brüllte Josh wie ein verwundeter Stier und war außer sich vor Schmerz. Carla versetzte ihm nun weitere Schläge in sein zerkratztes Gesicht, und zwar mit solcher Wucht, dass sein Kopf vor und zurück pendelte. Von zwei Frauen angegriffen, tat Josh das einzig Vernünftige: Er gab auf. Er stolperte in die Senkrechte, aber Kim, die immer noch nicht zufrieden war, trat ihm direkt in die Brust und hätte ihn damit beinahe wieder umgeworfen. Seine Jeans auf den Hüften festhaltend, rannte er durch die Weinstöcke. Kim warf mit ihren Sandalen nach ihm, eine traf ihn am Hinterkopf, die andere verfehlte ihn um wenige Zentimeter. Er hetzte weiter, bis er zum Fluss kam, wo er sich im Gebüsch versteckte, um seine Wunden zu lecken.
»Oh, Carla, sind Sie in Ordnung?« Kim setzte sich in die Hocke und legte die Hand auf Carlas Arm.
Carla setzte sich auf und starrte Kim ins Gesicht. »Du lieber Himmel, wo hast du gelernt, so zu kämpfen?«
»In den Straßen von Saigon«, erklärte Kim. Ein Anflug von Stolz lag in ihrer Stimme. »Das Leben dort ist sehr schwer. Wenn du dort nicht kämpfst, bist du verloren.« Sie blickte über die im Mondschein liegenden Reihen der Weinstöcke, um sich zu vergewissern, dass der Mann nicht zurückkam. »Dieser Josh Aldrich ist ein Schwein. Er hat versucht, Sie zu vergewaltigen. Wir zeigen ihn an, damit die Polizei ihn verhaftet.« Kim
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