Im Tal der roten Sonne - Australien-Saga
sie vor Überraschung die Zeitschrift fallen, als sie am anderen Ende des Salons eine Frau erkannte, die sich gerade die Haare färben ließ, um das Grau zu überdecken. Es war Greta Michaels.
Was für ein Glück! Tante Greta war ohne die anderen Stenmarks hier. Als sie sie zum ersten und bisher einzigen Mal in dem Restaurant getroffen hatte, hatte sie bemerkt, dass ihre Tante eine große Herzlichkeit ausgestrahlt hatte und an Carla interessiert gewesen war. Sie hatte aber zugleich gefolgert, dass Greta, im Laufe der Jahre zermürbt von den stärkeren Persönlichkeiten in der Familie, den Weg des geringsten Widerstands ging, um zu überleben.
Der Stuhl neben Greta wurde gerade frei, und Sarah bat Carla, dort Platz zu nehmen. Sie erkannte sofort ihre Chance, und da Gretas Haare noch nass waren und geföhnt werden mussten, hatte sie ein wenig Zeit, um mit ihr zu reden. Wie ihre Tante darauf reagieren würde, war ihr überlassen.
»Das ist ja eine Überraschung.« Carla lächelte Greta im Spiegel an. »Wie schön, dich wiederzusehen.«
Greta Michaels war zunächst erschrocken, dass sie angeredet wurde. Dann rutschte sie unbehaglich auf ihrem Stuhl hin und her, denn sie war sich darüber im Klaren, dass sie ihrer Nichte nicht ausweichen konnte. »Carla. Du meine Güte!«
»Was für ein schöner Zufall«, sagte Carla und lächelte immer noch. Über was konnten sie bloß reden? Alltägliche, gewöhnliche Dinge, irgendetwas . »Ich genieße das kühlere Wetter. Der Herbst ist eine wunderschöne Jahreszeit im Valley, nicht wahr? Die Bäume und Rebstöcke wechseln ihre Farbe.« Dann fiel ihr ein, dass sie letztes Jahr um diese Zeit ins Barossa Valley gekommen war. Wie schnell doch die Zeit vergangen war und wie viel sie und Angie in der Zwischenzeit erreicht hatten.
»Dies ist die Jahreszeit, die ich am liebsten mag«, antwortete Greta höflich, aber zurückhaltend und sah Carla zögerlich im Spiegel an. »Entschuldigung«, sagte sie dann,
»ich will dich nicht anstarren. Es ist nur, weil du fast genauso aussiehst wie meine Mutter; es ist wirklich bemerkenswert.«
»Das wusste ich gar nicht, ich habe nie ein Foto von meiner Großmutter gesehen.« Dennoch hatte Carla eine Ahnung, dass sie irgendwem in der Familie ähnlich sehen musste, denn auch Josh, Luke und ihr Großvater hatten sie so angestarrt, als sie sie zum ersten Mal gesehen hatten. »Ich habe bis nach Dads Tod niemals etwas über deine Familie gehört. Ich habe Dads Tagebuch gelesen, und auch Angie hat mir von der Stenmark-Familie und...«, sie zögerte, »der Dreierbeziehung damals erzählt.«
Greta schüttelte den Kopf. »Ich bin nicht überrascht, dass dein Vater dir nichts gesagt hat. Rolfe hat immer alles für sich behalten. Das, was damals geschehen ist, hat ihn sehr verletzt.«
Carla hob stolz das Kinn. Sie würde sich nicht für ihren Vater entschuldigen. Sie hatte sein Tagebuch gelesen und wusste, dass das nicht nötig war. »Jetzt ist sowieso alles Vergangenheit. Geschichte!« Sie beschloss, dass es besser war, das Thema zu wechseln. »Mein Sohn Sam hat am Samstag sein erstes Football-Spiel. Er ist schon richtig aufgeregt.« Carla fiel auf, dass sich Gretas Gesichtsausdruck entspannt hatte. Das war gut so. »Es ist um zehn Uhr im Stadion.«
»Kurt spielte auch sehr gut Football. Die ganze Familie ist mitgekommen, wenn er gespielt hat. Mutter und Papa waren sehr stolz auf ihn. Mein Luke hat Rugby nach australischen Regeln vorgezogen, aber heute spielt er lieber Golf, wenn er die Möglichkeit dazu hat.«
»Das ist schön.« Carla interessierte sich nicht für ihren Onkel Kurt, der schon lange tot war, oder dafür, was Luke in seiner Freizeit machte. »Geht es Großvater gut?«
Ihre Blicke trafen sich im Spiegel. »Für einen Dreiundachtzigjährigen geht es ihm gut. Er ärgert sich darüber, dass er alt wird und nicht mehr das tun kann, was er vor zwanzig, dreißig Jahren tun konnte.«
»Dad war genauso«, gab Carla zu, und in ihrem Lächeln lag eine gewisse Traurigkeit. »Er hatte Arthritis in den Knien und Händen - ich nehme an, das kam von der jahrelangen Arbeit im Freien.«
»Rolfe«, sagte Greta sanft, und in ihrem Lächeln lag ein Anflug von Melancholie. »Er war nicht so sportlich wie Kurt. Er war zu ernst und erinnerte mich sehr an unsere Mutter.«
Rachel, die Besitzerin des Salons, steuerte auf sie zu, um Gretas Haar zu föhnen. Greta sagte: »Du gehst wahrscheinlich mit deinem Sohn zum Coulthard-Reservat. Ich gehe sonntagmorgens
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