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Im Tal der Schmetterlinge

Titel: Im Tal der Schmetterlinge Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Gail Anderson-Dargatz
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»Es war schön, mich zu treffen«, rief er. Zu spät fiel mir ein, dass ich ihn um einen der Wagen hätte bitten können.
    »Was ist los mit dem Mann da?«, wollte Jeremy wissen. »Er redet lustig.«
    »Er hatte eine Gehirnverletzung, Liebling«, sagte ich.
    »Was ist das?«
    »Er hat sich den Kopf weh getan.« Ich blickte zu Ezra. »Ich erklär es dir später.«
    Ezra entfernte sich ein paar Schritte von uns und lehnte sich gegen den Eingang des Safeway, um dem Jungen mit den ratternden Einkaufswagen nachzublicken. Er wischte sich Tränen aus den Augen. Ich hätte zu ihm hinübergehen und ihn in den Arm nehmen müssen. Ich hätte ihm sagen müssen, dass alles wieder in Ordnung käme, dass wir einen Weg fänden, wie uns das bisher jedes Mal geglückt war. Doch stattdessen versuchte ich krampfhaft, den Vierteldollar in den Schlitz zu stecken, und als es immer noch nicht funktionieren wollte, las ich die Anweisungen, die keinen Sinn ergaben. Ich hatte die Angst, mutterseelenallein in einer fremden Stadt zu sein und nicht zu wissen, wo ich mich befand. Eine Angst, die mich seit Ezras Schlaganfall schon oft beschlichen hatte. Dann das pochende, maschinengewehrartige Herzrasen.
    Meine Mutter legte eine Hand auf meinen Arm. »Oh, Liebling, was ist los?«
    Ich versuchte erneut, die Münze mit aller Gewalt in den Schlitz am Einkaufswagen zu stopfen, und senkte die Stimme.
»Ich weiß einfach nicht, was ich tun soll! Wie ich mit ihm umgehen soll.«
    »Du bist in letzter Zeit nicht viel Auto gefahren, oder?«, wollte sie wissen.
    Auf dem Bürgersteig genau vor uns durchwühlte eine elegant gekleidete Frau in einer wunderschönen indigofarbenen Jacke und einem farblich passenden Rock einen Mülleimer und hatte eine Plastiktüte voller Getränkedosen unterm Arm. Eine Witwe, vermutete ich, Anfang sechzig, durch den Tod ihres Mannes dazu verurteilt, im Abfall nach Pfandflaschen zu suchen.
    Ich blickte zu meiner Mutter. »Nicht viel, nein.«
    »Jahrelang war es dein Vater, der in die Stadt fuhr, nicht ich. Gus liebte das Autofahren, und er ist immer als Erster in den Wagen gestiegen und hat dort auf mich gewartet, weil ich meistens länger brauchte, um mich fertig zu machen. Ich dachte mir nichts dabei und nahm einfach an, ich würde irgendwann einmal wieder fahren. Aber dann wurde er krank, und als ich es selbst ausprobierte, musste ich feststellen, dass ich es verlernt hatte.«
    »Vermutlich war es bei Ezra und mir das Gleiche. Die Gewohnheiten eben. Ich bin noch nie gerne gefahren.« Ich sah zu Ezra, der meinem Blick auswich. Er wusste ebenso gut wie ich, wie wenig es der Wahrheit entsprach. »Warum funktioniert das hier nicht?«
    Die Frau mit der Plastiktüte voller Dosen drehte sich zu uns um und klopfte auf das Pfandschloss am Einkaufswagen. »Sie müssen die Münze ganz fest reindrücken«, sagte sie und machte es vor. »Dann erst löst sich die Sperrkette vom anderen Wagen.«
    »Ah«, sagte ich. »Danke.«
    Sie tätschelte mir die Hand. »Dauernd helfe ich Kunden mit
diesen dummen Einkaufswagen. Warum schaffen die nicht einfach ganz normale Wagen an und stellen jemanden wie Marshall dort drüben ein, der sie wieder einsammelt?« Sie zeigte auf den Jungen mit der Kopfverletzung. »Der Himmel weiß, dass es viele wie ihn gibt, die Arbeit suchen.«
    Marshall winkte ihr zu, und sie winkte zurück. Ein Mann in einem VW-Käfer hupte ihn freundlich an. Marshall gehörte also zum lebenden Inventar der Stadt, war jemand, den jeder kannte, eine Art Maskottchen.
    Ich hob Jeremy in den Einkaufswagen und schob ihn in den Laden, während sich meine Mutter an dem Korbrand festklammerte, um das Gleichgewicht zu halten. Ezra folgte mit deutlichem Abstand.
    »Ich werde selbst ein paar Sachen suchen«, sagte er, steckte eine Münze in einen der Wagen im Supermarkt und zog ihn problemlos aus der Schlange.
    Meine Mutter stand neben mir, während ich ihm nachblickte, wie er in einem Gang verschwand. »Er kauft nicht mit uns zusammen ein?«
    »Wo geht Daddy hin?«
    Ich wendete meinen Einkaufswagen und schob ihn in die entgegengesetzte Richtung. »Keine Ahnung, was er vorhat.«
    Meine Mutter folgte Jeremy und mir. »Es gab Zeiten, in denen mein Vater nicht fahren konnte«, sagte sie, »und entweder meine Mutter oder ich mussten ihn in die Stadt bringen. Er hasste das. Er fühlte sich dann nutzlos. Eine Frau saß damals nicht am Steuer, wenn sich ein Mann im Auto befand.« Sie nickte in Ezras Richtung. »Ich kann mir vorstellen, wie schrecklich

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