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Im Tal der Schmetterlinge

Titel: Im Tal der Schmetterlinge Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Gail Anderson-Dargatz
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an der Hand zur Beifahrerseite und schnallte ihn im Sitz fest. Dann glitt ich hinters Steuer und setzte den Blinker. Ich wartete jedoch zu lange, war verunsichert, wie ich mich in den Verkehrsstrom einfädeln sollte. Nach einer Weile sah ich eine Lücke und zog den Wagen schnell in die richtige Spur. Zu spät bemerkte ich, dass ich mich einer Kreuzung näherte.
    »Du hast gerade eine rote Ampel überfahren!«, sagte Ezra.
    »Ich weiß, ich weiß, ich hab sie nicht gesehen!«
    Als ich endlich den Parkplatz des Safeway erreichte, saß ich einen Moment lang schweigend da und starrte auf meine Hände auf dem Lenkrad. Sie zitterten.
    Ezra legte mir die Hand auf den Oberschenkel. »Es tut mir so leid, dass ich Feuer gespuckt habe, als du angeboten hast zu fahren. Ich hätte auf dich hören sollen.«

    »Es tut dir immer leid. Nachher.«
    »Wenn ich mittendrin stecke, kann ich nicht richtig sehen. Es fühlt sich an, als wäre es deine Schuld. Ich denke dann, wenn du einfach still wärst … aber du redest weiter, und ich kann nicht Schritt halten, nicht denken. Ich kann mich nicht selbst befreien. Mein Kopf ist wie aus Lehm … meine Worte sprudeln wie verklebt aus mir raus. Ich befinde mich mitten auf einem See.« Er ruderte mit den Armen, als versuchte er zu schwimmen oder auf etwas einzuschlagen.
    »Ein verzweifeltes Strampeln«, sagte ich.
    »Ja. Das ist das richtige Wort. Strampeln. Ich sehe mich selbst, wie ich schlimme Dinge tue, aber das bin nicht ich . Sondern jemand anderes dort drinnen.« Er tippte sich an den Kopf, und für diesen einen Augenblick verstand ich, wie es sich anfühlen musste, in seiner Haut zu stecken und hilflos zuschauen zu müssen, wenn seine Wut ihn übermannte.
    »Das bedeutet wohl, dass du eine Zeitlang nicht fahren wirst?«, fragte ihn meine Mutter.
    »Erst wieder, wenn wir seine Anfälle unter Kontrolle haben«, sagte ich.
    Ezra rieb sich mit beiden Händen übers Gesicht. »Jedes Mal fühlt es sich an, als würden meine Flügel mit lauter Nadeln durchstochen werden.«
    »Warum bleibst du nicht im Wagen und ruhst dich ein wenig aus, während wir in den Safeway gehen?«, schlug ich vor. »Soll ich dir etwas mitbringen?«
    »Mir geht’s gut«, erwiderte er. »Ich begleite euch.«
    Ich zog eine Packung mit Ohrstöpseln aus der Tasche und reichte sie ihm. »Liebling, du hattest gerade einen Anfall. Du solltest dir wirklich eine Pause gönnen.«
    Er wollte die Ohrstöpsel partout nicht nehmen, und sichtlich
versuchte er mit aller Gewalt, seine Wut unter Kontrolle zu halten. »Ich bin nicht so krank, wie du denkst.«
    Ich warf Jeremy einen Blick zu, doch er sah aus dem Fenster. Neben ihm spielte meine Mutter beunruhigt mit einem Kleenex und rollte es unaufhörlich zwischen den Fingern hin und her.
    Ich stieg aus dem Pick-up. »Okay. Schön. Lasst uns reingehen.« Ich schlug die Wagentür zu und blieb einen Moment ruhig stehen, um das Herzrasen in meiner Brust verklingen zu lassen. Die Hitze und der Rauch krallten sich an meinem Gesicht fest, raubten mir den Atem und ließen Panikgefühle hochsteigen, während andere auf dem Parkplatz sorglos in die Wärme eintauchten wie in ein heißes Bad. Überall Eiswaffeln und fröhliche Gesichter, obwohl die Berge über uns brannten.
    Ich führte Jeremy zu den Einkaufswagen. Meine Mutter und Ezra folgten in großem Abstand. Als ich einen Vierteldollar in den Safeway-Einkaufswagen steckte, sprang er einfach wieder heraus. Ich versuchte es ein zweites Mal, konnte die Wagen jedoch nicht voneinander lösen. Ein junger Mann Mitte zwanzig, der eine Baseballkappe und eine leuchtende Sicherheitsweste trug, schob eine Schlange aus Einkaufswagen in unsere Richtung. Er blieb stehen und murmelte Ezra etwas zu, nachdem er und meine Mutter uns eingeholt hatten. »Entschuldigung?«, fragte Ezra.
    »Ich kenne Sie, oder?«, sagte der Junge.
    »Ich denke nicht«, erwiderte Ezra.
    »Doch.« Speichel lief schäumend aus seinem Mundwinkel. Seine Stimme klang zittrig, seine Aussprache war undeutlich. Als er sich umdrehte, bemerkte ich unter dem raspelkurzen Haar an seinem Nacken eine Naht.
    »Manchmal ist es nicht einfach, mich zu verstehen«, sagte er. »Ich hatte eine Gehirnverletzung.«

    »Huch«, sagte Ezra. »Ich hatte einen Schlaganfall.«
    »Wie lange waren Sie im Krankenhaus?«
    »Ein paar Wochen.«
    »Ich lag sieben Monate im Koma«, sagte der Junge. »Na-na, na-na, naah-na - gewonnen!« Er winkte, während er die Einkaufswagen zum anderen Ende des Parkplatzes schob.

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