Bücher online kostenlos Kostenlos Online Lesen

Im Tal der Schmetterlinge

Titel: Im Tal der Schmetterlinge Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Gail Anderson-Dargatz
Vom Netzwerk:
ruhigen Seitenstraßen in Städten kam ich zwar immer noch gut zurecht, aber Highways machten mich nervös. Der Gedanke, in einer Stadt wie Calgary fahren zu müssen, versetzte mich in Panik.
    Ezra hielt bei Gelb an der Kreuzung neben dem McDonald’s, und der Fahrer im SUV beschwerte sich mit einem lauten Hupen. »Blödes Arschloch!«, schimpfte Ezra. Als die Ampel auf Grün schaltete und Ezra anfuhr, raste der SUV über eine durchgezogene Linie an uns vorbei. Ezra riss das Lenkrad herum und hätte das Auto beinahe gestreift. Meine Mutter und Jeremy schrien beide laut auf.
    »Ezra!«, rief ich, »was zum Teufel tust du da?«
    Ezra zeigte dem Fahrer den Mittelfinger, und der Mann machte die gleiche Geste. Auf dem Aufkleber an der Heckscheibe des SUV stand zu lesen: Know fear . »Er ist das Arschloch, nicht ich.«
    Der zornige Ausdruck in seinem Gesicht. Ich nahm einen tiefen Atemzug und ging im Geiste die Antworten durch, zu denen der Psychologe mir geraten hatte, um Ezras Wut in solchen Situationen, wenn sein Urteilsvermögen getrübt war, in Schach zu halten. »Wie wär’s, soll ich ein Stück fahren?«, fragte ich ihn betont fröhlich.
    »Aber du hasst es doch, in Städten zu fahren.«
    »Es ist meine Heimatstadt. Ich bin sicher, dass ich es schaffe.«
    »Du denkst, ich bin ein beschissener Fahrer?«
    »Du bist ein ausgezeichneter Fahrer, nur fährst du manchmal anders, wenn du erschöpft bist. Du hilfst mir oft. Jetzt würde ich dir gerne unter die Arme greifen.«
    »Lass diese überhebliche Therapeutenscheiße!«
    Ich drehte den Kopf weg, kämpfte die beißenden Tränen nieder und sah aus dem Beifahrerfenster. Ein Pärchen ging am Straßenrand spazieren. Sie trugen gemeinsam einen Ast, von dem ein Jack-Russell-Terrier baumelte, dessen Zähne sich in dem Stock festgebissen hatten.
    Vor uns folgte die Stadt dem Uferlauf des Shuswap Lake.
Salmon Arm war benannt nach dem Lachs, der hier früher einmal in solch ungeheuerlichem Überfluss vorhanden gewesen war, dass die Farmer ihn mit Heugabeln aus dem See und dem Fluss spießten, der im Shuswap Lake mündete und das Land mit kostbarem Wasser versorgte. Heutzutage trennte ein Highway die Stadt der Länge nach und lockte die Bewohner Albertas trotz der kurvenreichen, nervenaufreibenden Anfahrt zum Shuswap Lake und in die Hausboote. Es war eine Touristenstadt. Eine Stadt, die ich erst mit fünfundzwanzig Jahren verlassen habe, als ich ohne Vorwarnung aus dieser behaglichen Gegend gerissen wurde, wie die Lachse aus dem See. Ich bin Jude dafür von Herzen dankbar und nehme es ihm gleichzeitig übel. Als ich mich von meiner Heimat lossagte, trennte ich mich auch von ihm.
    Während wir den Berg in der Nähe des McGuire Lake hinabrollten, verlangsamte sich unser Pick-up und schlingerte auf die Mittelspur. Ezra schmatzte mit den Lippen, und seine rechte Hand kreiste in seinem Schoß. Ein Anfall.
    Ich packte das Lenkrad. »Den Fuß auf die Bremse!«, rief ich. »Fuß auf die Bremse!«
    Sein Fuß war nicht mehr auf dem Gaspedal, sondern stand schlaff daneben. Ich konnte nicht über die Mittelkonsole zwischen uns greifen, um den Pick-up selbst zu bremsen. »Ezra! Stell den Fuß auf die Bremse!«
    Meine Mutter beugte sich vor. »Was ist los?«
    Ich drückte auf die Hupe und ließ sie nicht mehr los, um die anderen Fahrer zu warnen, während wir bei Rot über eine Kreuzung fuhren. Ezra drehte sich zu mir um. Seine Zunge drückte noch immer gegen die Innenseite seiner Lippen. Seine Augen waren gelb verfärbt und glasig, seine Wangen eingefallen. »Dein Fuß!«, schrie ich. »Auf die Bremse!«
    Er starrte mich weiterhin verständnislos an, ohne den Blick
zurück auf die Straße zu richten, bremste jedoch allmählich. Schließlich gelang es mir, den Wagen an den Straßenrand des Highways in der Nähe des Dairy Queen zu lenken.
    »Daddy, den Fuß auf die Bremse!«
    »Alles in Ordnung. Jetzt ist alles in Ordnung. Daddy hatte einen Anfall.«
    »Einen Anfall!«, rief meine Mutter. »Großer Gott! Wir hätten sterben können!«
    Ein Sattelzug raste vorbei und brachte unseren Pick-up zum Erzittern.
    »Geht es dir gut?«, fragte ich Ezra.
    Er nickte. »Ente«, sagte er und mühte sich verzweifelt ab, das Wort Entschuldigung zu finden. »Ente. Ente.« Er streichelte meinen Arm. Wollte mir zu verstehen geben, dass es ihm gut ging, dass alles wieder in Ordnung sei. Als hätte das einer von uns in diesem Augenblick glauben können.
    »Entschuldigung«, sagte er schließlich.
    Ich führte Ezra

Weitere Kostenlose Bücher