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Im Tal der Schmetterlinge

Titel: Im Tal der Schmetterlinge Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Gail Anderson-Dargatz
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ein riesiges Tamtam um ihre Hunde. Was ist schon dabei, sich um einen Teddybären zu kümmern?«

    Seine Antwort beruhigte mich. Trotzdem machte ich mir Sorgen um mich.
    »Hast du das hier gesehen?«, fragte Val. Sie reichte mir eine Fotografie, eine Aufnahme von uns beiden, ein gestelltes Porträt. Val war schon fast eine Frau und ich ein Baby in ihren Armen.
    Ich nahm ihr das Foto aus der Hand. »Du hast immer noch hier auf der Farm gelebt, als das Bild geschossen wurde, nicht wahr?«
    »Unser Haus drüben auf Valentines Grundstück war im Frühling niedergebrannt, also haben wir uns alle, du, ich, Mom und Dad, in die Hütte neben der Scheune gequetscht.« Sie zeigte mit einem Kopfnicken zum Fenster, von dem aus man die Hütte sehen konnte, die früher Großvaters Lohnarbeiter bewohnt hatten.
    »Du hast also hier gelebt, als Grandpa verschwunden ist.«
    Sie nahm das Foto und legte es in die Schachtel, in der sie es gefunden hatte. »Ja.«
    »Was ist damals geschehen?«
    »Er wurde immer nervöser und war dann plötzlich weg.«
    »Was meinst du damit, er wurde immer nervöser?«
    »Er stand zitternd am Küchenfenster und machte sich vor Angst fast in die Hose, obwohl er uns nie erzählen wollte, was dort draußen war. Wenn ich eine Tasse fallen ließ, ist er zusammengezuckt und hat herumgebrüllt. Einmal packte er mich an den Schultern und schüttelte mich, bis Dad ihn wegziehen musste. Mein größtes Verbrechen bestand darin, dass ich beim Abwasch zu laut war und das Geschirr in der Spüle gegeneinanderschlug. Ich wurde vorsichtig, duckte mich vor dem nächsten Donnerwetter. Das Warten auf seine Wutanfälle war fast noch schlimmer als der Ausbruch selbst. Das sieht
man an Mom, nicht wahr? Man kann nicht von hinten auf sie zugehen, ohne dass sie zusammenfährt.«
    »Was stimmte nicht mit ihm? Hatte er eine Kriegsneurose?«
    »Moment, ich zeig’s dir.« Sie öffnete eine Schachtel und wischte etwas Staub weg, bevor sie einen Stapel Papiere durchwühlte, mit Katzen, Seemöwen oder Rosen umrandete Notizzettel, auf denen die geschwungene, leicht zittrige Handschrift meiner Mutter zu sehen war. »Letzten Herbst habe ich hier drinnen staubgesaugt, da flippte eine der Katzen aus und warf einen Papierstapel um. Als ich die Blätter wieder aufsammelte, fand ich das hier.« Sie zog einen großen braunen Briefumschlag hervor. »Grandpas Unterlagen aus der psychiatrischen Klinik in Essondale und seine Militärakte. Anscheinend hat Grandma sie irgendwann beantragt.«
    »Er war in einer Psychiatrie?«
    »Viele Male.«
    Ich nahm den Briefumschlag mit in die Küche und schüttete den Inhalt auf den Tisch neben Jeremys Bilder, die er im Laufe des Tages gemalt hatte. Es handelte sich um Unterlagen der besagten psychiatrischen Klinik, Großvaters Militärakten und Medaillen, einen Rasierer, eine Brille in einem Etui. Zuletzt kam die Fotografie eines Mannes zum Vorschein: Er war blass, seine Wangen waren eingefallen, seine Augen weit aufgerissen, starr und leer. Wie ein Mann, der gerade aus dem Schlaf gerissen worden, aber immer noch in einem Traum oder Alptraum gefangen war. Das Gesicht eines Schlafwandlers.
    »Unheimlich, was?«, sagte Val. »Seine Augen scheinen irgendwie, ich weiß nicht recht, tot zu sein.«
    »Ich habe noch nie ein Foto von ihm gesehen.«
    »Da gab es auch nicht viele. Mom hat sie nach Grandmas
Tod alle abgehängt, selbst das Hochzeitsfoto von Grandma und Grandpa. Sie hat sie in eine Dose geworfen und darin verbrannt.«
    »Weißt du warum?«
    Val gab keine Antwort, sondern griff nach den Medaillen und der Brille. »All die Dinge waren in dem Umschlag, als ich ihn damals fand. Wahrscheinlich gehörten sie ihm. Die Brille auf jeden Fall. Ich erinnere mich, dass er sie immer zur Jagd aufsetzte.« Sie nahm den antiken Rasierapparat zur Hand. »Großer Gott, ich erinnere mich auch, wie er sich mit dem Teil hier rasiert hat, während er über der Küchenspüle lehnte und in einen winzigen Spiegel starrte, den er dort aufgehängt hatte. Ich hasste es, im Haus zu sein, wenn er sich rasierte. Ich hatte immer fürchterliche Angst, dass er sich schneiden und mich deswegen anschreien würde.«
    »Warum sollte er dir dafür die Schuld geben?«
    »So war er nun mal. Wenn ich ein Geräusch machte, lenkte ich ihn ab. Beinahe jedes Geräusch brachte ihn aus der Fassung.«
    Ich betrachtete die Medaillen, während Val seine Militärakte durchblätterte. Sie reichte mir eine Fotokopie. »Hier! Krankheitsbedingt aus der Armee

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