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Im Tal der Schmetterlinge

Titel: Im Tal der Schmetterlinge Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Gail Anderson-Dargatz
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überrascht, du kochst ? Als wäre das etwas Anrüchiges, jetzt, da die Berge um uns herum in Flammen stehen. Man will sich doch ernähren, oder nicht?« Er ging zurück zum Brennofen und holte ein weiteres Keramikgefäß. »Nächste Woche muss ich zu einem Töpfermarkt in Vernon.«
    Ich lehnte gegen den Türrahmen, um ihm beim Arbeiten zuzusehen.
    »Wie hast du es eigentlich angestellt, während eines Evakuierungsalarms den Brennofen benutzen zu dürfen?«
    »Ich arbeite in einem geschlossenen Raum. Das ist legal.«
    »Ist es auch vernünftig? Du könntest einen neuen Brandherd entfachen.«
    Er grinste mich an. »Hab ich aber noch nicht.«
    Er schloss den Brennofen, um die Temperatur wieder anzufachen, hob dann jeden einzelnen Deckel der Mülltonnen, um mehr Luft an die Keramik zu lassen, weitere Zeitungen, um die Gefäße zu stopfen und einige mit Salzwasser oder Pflanzenöl zu bespritzen, damit die Risse in der Glasur noch deutlicher zur Geltung kamen. Flammen schossen aus den Mülleimern, Zeitungsfetzen wirbelten in die Luft und schwebten bedächtig auf den Betonboden. Das Innere der Mülltonnen war schwarz von all den unzähligen Raku-Bränden.
    »Du und Val habt heute bis spät in die Nacht gearbeitet«, sagte er.
    »Wir packen immer noch Moms Sachen zusammen, und jetzt müssen wir Platz schaffen, für Dads Krankenhausbett. Der Krebs hat nun auch seine Knochen befallen. Es scheint eine Sache von wenigen Wochen zu sein.«
    Jude stand auf und blickte mich durchdringend an. »Oh, Katrine.«
    »Er weigert sich, im Krankenhaus zu bleiben. Wir hoffen,
ihn morgen nach Hause bringen zu können. Ich halte es zwar für keine gute Idee, aber er will es nun mal.«
    »Ich würde zu Hause sterben wollen.« Seine Augen wurden feucht. Ich hatte sie vergessen, seine Fähigkeit, so leidenschaftlich Mitgefühl zu zeigen, den Schmerz anderer derart uneingeschränkt zu teilen. Vor vielen Jahren hatte ich gesehen, wie er sich Tränen aus den Augen strich, wenn in den Nachrichten Erdbebenopfer gezeigt wurden oder Menschen, die bei Flutkatastrophen ihr Zuhause verloren. In unbarmherzigen Momenten hatte ich mich über seine Rührseligkeit geärgert. Doch nun bewirkte sie, dass ich ebenfalls weinte. Ich wischte mir mit dem Handballen über die Augenwinkel und drehte mich weg.
    »Wie wär’s?«, sagte er. »Lass mich noch eine Ladung fertigstellen, dann können wir reden.«
    Er schob seine glasierten Töpfe, Teller, Tassen und Teekannen in den Brennofen, schloss mit den behandschuhten Händen die Klappe, und Flammen schossen aus einem Loch oben aus dem Ofen.
    »Die Geschichte, von der ich dir erzählt habe«, begann ich. »Wie mein Großvater in den Bergen verschwunden ist? Val hat mir heute Abend verraten, dass er nie gefunden wurde.«
    Mit einer geübten Armbewegung schleuderte Jude die Handschuhe auf den Boden. Seine Hände waren dunkel von Ruß und Druckerschwärze. »Er ist dort oben gestorben? Warum sollten sie das vor dir verheimlichen?«
    »Das weiß ich nicht. Val erklärte groß und breit, dass Mom nicht darüber reden will, weil das alles zu schmerzhaft für sie sei. Und das war es sicher auch.« Ich zog den großen braunen Umschlag aus der Kiste. »Val hat die Militärakte meines Großvaters und seine Unterlagen aus Essondale gefunden.«
    »Essondale?«

    »Eine psychiatrische Klinik. Anscheinend wurde er mehrmals eingeliefert. Er hatte eine Kriegsneurose und während des Ersten Weltkriegs gleichzeitig einen Gehirnschaden davongetragen.«
    Jude wischte sich die Hände an der Hose ab, bevor er die Unterlagen von mir nahm.
    »Es sieht ganz so aus, als hätte er unter Wahnvorstellungen gelitten«, sagte ich. »Er glaubte, irgendetwas würde ihn verfolgen und hätte es auf ihn abgesehen. Er misstraute seinen Nachbarn, besonders Onkel Valentine. Wirf mal einen Blick auf den Brief, den er meiner Großmutter geschrieben hat. Er vermutete, Valentine sei in sie verliebt. Doch trotz all der Dinge, mit denen sie fertig werden mussten, gab es immer noch Leidenschaft zwischen meinen Großeltern. Er spricht hier davon, wie sie ihn mit Fudge gefüttert hat.«
    Ich betrachtete Judes Gesicht, während er den Brief las und dann in der Essondale-Akte blätterte. »Der Brief des Arztes, der ihn eingeliefert hat, klingt sehr aufschlussreich«, sagte er und las ihn laut vor: » Vor etwa einem Jahr erklärte ich ihn für geisteskrank, doch ein zweites Gutachten fehlte, und er wurde im Shaughnessey-Krankenhaus behandelt und später nach Hause

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