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Im Tal der Schmetterlinge

Titel: Im Tal der Schmetterlinge Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Gail Anderson-Dargatz
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Gedächtnis gebrannt haben, doch kaum wollte ich sie zu Hause aufs Papier bringen, war dies hier alles, woran ich mich erinnerte. Bekomme ihren Gesichtsausdruck nicht richtig hin. Sie sah schrecklich einsam aus. Vermutlich war Kat einfach nur gelangweilt. Sie ist so liebreizend. Ich denke darüber nach, sie zu bitten, für mich Modell zu stehen.
    Ich konnte mich an den von ihm beschriebenen Moment nicht erinnern. Ich hatte so viel von meinem Leben verloren. War ich tatsächlich jemals zu einer solch dreisten Unverschämtheit imstande gewesen, dass ich mit meinem Taschenspiegel spielte und die Gäste auf meiner eigenen Party wie Luft behandelte, nur um zu zeigen, wie sehr mich meine Mutter ärgerte?
    Sie ist so liebreizend .
    »Ich wusste überhaupt nicht, dass ich dir schon damals aufgefallen war«, sagte ich.

    »Wie hätte ich das auch zugeben können? Du warst noch ein junges Mädchen. Und ich verheiratet.«
    Ich blätterte im Skizzenbuch. Auf das erste Bild folgte eine Vielzahl hastig hingeschmierter Zeichnungen, die Jude in seiner Werkstatt gemacht hatte, während Lillian mit Freunden in der Küche plauderte. Unter eine Skizze hatte er geschrieben: Ihr Duft! Vanille, würde ich sagen. Ich bin nicht sicher, ob es sich um Parfüm handelt oder den Duft nach Apfelkuchen oder Gebäck, das sie gegessen hat. Oder ob es ihr natürlicher Geruch ist. Sie sagt, sie sei mit niemandem zusammen. Ich hoffe, sie ist mit niemandem zusammen .
    Ich klopfte auf das Skizzenbuch. »Denkst du, ich hätte mich in jener Nacht von dir küssen lassen, wenn ich mit jemandem ausgegangen wäre?«
    »Ich habe dich geküsst und war mit Lillian zusammen.«
    »Du hast mich damals erschreckt, mit diesem ersten Kuss. Ich saß dort, genau so, wie du mich haben wolltest …«
    »Nein. Wie ich dich immer sitzen gesehen habe, mit einem Knie angewinkelt, den anderen Fuß daruntergeschoben.«
    »Dann bist du auf einmal aufgesprungen, bist zu mir gekommen und hattest dein Skizzenbuch immer noch in der Hand, und ich glaubte schon, du wolltest mein Haar richten oder nochmals an meiner Kleidung herumzupfen. Aber du hast dich herabgebeugt und mich geküsst. Hast mich völlig überrumpelt. Deine Bartstoppeln haben meine Oberlippe gekitzelt.«
    »Ich erinnere mich, wie ich dachte: Ihre Lippen sind so weich .«
    »Du warst so, ich weiß nicht … entschlossen.«
    »Ich hab mir vor Angst fast in die Hose gemacht. Ich dachte, wenn ich dich an diesem Abend nicht küsse, wo ich doch die Gelegenheit habe, würde ich es nie tun.«

    »Du hattest Angst?«, fragte ich. »Vor mir?«
    »Ich wollte dich von dem Augenblick an küssen, als du mich und Lillians verdammten Monstersessel im Turtle-Valley-Gemeindesaal abgesetzt hast. Der Tanzabend. Erinnerst du dich? Als ich mich dafür entschuldigt habe, ein solcher Arsch gewesen zu sein, wegen der Dinge, die ich über deine Fotos im Observer gesagt habe. Ich legte den Arm hinter deine Kopfstütze. Schon damals wollte ich dich küssen. Aber vor uns wartete ein Saal voller Menschen. Und Lillian.«
    Schüchtern blickte ich auf das Skizzenbuch hinab und blätterte darin herum. Es gab unzählige Zeichnungen von mir. Anfangs war ich bekleidet, dann nackt, und schließlich war mein Bauch genauso rund und reif wie ein Kürbis. An dieser Stelle endeten die Skizzen. Ich überflog den Rest des Buches, folgte einer immer dünner werdenden Spur meines Lebens: ein gestelztes Foto, auf dem ich von lächelnden Mitgliedern des Kunstausschusses umgeben bin, die den Scheck für mein Stipendium hochhalten, das mir den Weg zurück zur Universität ebnete, eine Art Fahndungsfoto neben einem kleinen Artikel, der meinen Umzug verkündete, und eine Einladung zu meiner Hochzeit im Turtle-Valley-Gemeindesaal nur wenige Monate später, die wahrscheinlich meine Mutter Jude geschickt hatte, gegen meinen Willen. Dann viele unbeschriebene Seiten. Der größte Teil des Buches war leer.
    »Ich wusste nicht, dass du ein Skizzenbuch über mich geführt hast, besser gesagt ein Tagebuch, als wäre ich ein Objekt, das du eingehend erforscht hast.«
    »Eine Muse«, sagte Jude. »Du warst meine Muse.«
    »Ich bin nicht sauer. Ich mache mir selbst solche Notizen über andere Leute. Es hat mich bloß ein wenig aus der Bahn geworfen. Es ist sonderbar, sich selbst durch die Augen eines
anderen zu betrachten.« Ich legte das Skizzenbuch zurück in die Kiste und schob sie ihm zu. »Jedenfalls … das hier gehört dir.«
    Er nahm eine der Postkarten, die er mir damals

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