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Im Tal der Schmetterlinge

Titel: Im Tal der Schmetterlinge Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Gail Anderson-Dargatz
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entlassen. Es ist (meiner Ansicht nach) unverantwortlich, ihn nach Hause zu schicken. Er wurde heute von der örtlichen Polizei hergebracht, nachdem er auf einen Nachbarn geschossen hat, der einschreiten wollte, als Weeks seine eigene Familie mit einem Gewehr bedrohte. Seine Frau hatte anscheinend den Versuch unternommen, zusammen mit ihrer Tochter von der Farm zu fliehen, als sich der Vorfall ereignete. Seine Frau hat verständlicherweise Angst vor ihm. Letztes Jahr hatte uns die Polizei bei seiner Einlieferung …«
    Ich nahm ihm den Brief aus der Hand. »… gesagt, dass er
einen Lohnarbeiter umbringen wollte und beinahe Erfolg gehabt hätte, obwohl ich vermute, dass dies eine Übertreibung darstellt .« Ich klopfte auf den Brief. »Dad war ein Hilfsarbeiter. Ich frage mich, ob er so an die Narbe gekommen ist und ob deshalb Mom und Dad nicht darüber reden wollen.«
    »Welche Narbe?«
    »Er hat eine schlimme Narbe am Arm. Er und Mom haben immer behauptet, sie stamme von einem Jagdunfall, doch als ich im Krankenhaus nachgefragt habe, hat sich Dad verplappert. Beide, Mom und Dad, wirkten sehr nervös, wie Leute, die etwas zu verbergen haben.«
    »Aber warum sollten sie lügen, was die Geschichte angeht?«
    »Keine Ahnung.«
    Er reichte mir die Unterlagen. »Na gut. Bietest du mir jetzt endlich etwas von dem Fudge an, oder muss ich noch länger warten?«
    »Ich weiß nicht, warum ich ihn überhaupt mitgebracht habe. Bei dieser Hitze wird er sowieso nicht fest. Ich werde ihn in den Kühlschrank stellen müssen.«
    »Ich würde trotzdem gern davon kosten.«
    »Ich habe nichts zum Schneiden dabei.«
    Er reichte mir ein Messer, das auf einem Teller mit einem halb gegessenen Apfel gelegen hatte. »Keine Sorge, es ist sauber«, sagte er, als er meinen prüfenden Blick bemerkte.
    Während ich die Karamellmasse in Scheiben schnitt und ihm ein weiches Stück anbot, wünschte ich inständig, statt des Messers einen Löffel zu haben. Jude hielt die geschwärzten Hände hoch und zeigte auf seinen Mund. »Wenn du bitte …?«
    Ich streckte die Hand aus, er biss vom Fudge ab - und sog gleichzeitig meinen Finger in den Mund. Das unbeschreibliche
Gefühl seiner Zähne auf meiner Haut. Im nächsten Moment hielt er die Hände wieder hoch. »Ich mach mich schnell frisch.«
    Ich beobachtete, wie er das T-Shirt über den Kopf zog und auf den Boden fallen ließ. Der schimmernde Schweiß auf seiner Haut, das Muskelspiel seiner Arme, als er einen Eimer vom Boden hievte und das Wasser in ein weißes Emaillewaschbecken goss. Dann wusch er sich, spritzte sich Wasser ins Gesicht und übers Haar. Er schnalzte mit dem Fingernagel seines Zeigefingers gegen das Waschbecken und entlockte ihm ein leises Summen. »Das habe ich vor Jahren in der Hütte deines Onkels gefunden«, sagte er.
    »Es gehörte Valentine?«
    Jude nahm ein Handtuch und trocknete sich die Hände und das Gesicht. »Wahrscheinlich hätte ich es deinen Eltern geben sollen, aber es gefiel mir.«
    Ich strich mit den Fingern über den Rand des Waschbeckens, bis ich bemerkte, dass Jude mich eindringlich ansah. Seine nackte Brust: die kleinen Muttermale, die einem Sternbild ähnelten, und die dunklen Brustwarzen.
    »Also, was ist nun mit der Kiste?«, fragte er.
    »Das Zeug gehört mir nicht. Jedenfalls nicht alles.« Ich öffnete den Deckel, schob die Karten und Briefe beiseite, die Jude mir geschrieben hatte, und zeigte ihm das Skizzenbuch. Auf dem Einband prangte mein Name, in Judes Handschrift: Katrine . Auf der ersten Seite befand sich eine Zeichnung von mir, wie ich am Küchentisch meiner Mutter saß und einen kleinen Kosmetikspiegel in Händen hielt. Unter der Skizze standen Judes Anmerkungen:
    Ich habe den Abend bei Gus und Beth Svensson verbracht, zusammen mit Lillian und einer Handvoll
anderer Leute, alles Freunde von Beth. Es war eine Geburtstagsfeier für ihre Tochter Kat, auch wenn Kat nicht besonders erfreut darüber schien. Ihre Mutter hatte sie wohl zu der Feier genötigt, denn sie war von den Freunden ihrer Mutter umgeben und nicht von ihren eigenen. Ich goss Lillian Kaffee nach, aus der Kanne, die auf dem Herd stand, und mein Blick fiel auf das Geburtstagskind. Kat saß mit ihrem Stück Kuchen am Küchentisch, als wäre sie vollkommen allein dort, sie schenkte den Anwesenden keinerlei Aufmerksamkeit, sondern holte mit ihrem Taschenspiegel die späte Abendsonne ins Zimmer, spielte wie ein Kind mit dem Licht. Ich glaubte, die Szene müsste sich für immer in mein

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