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Im Tal der Schmetterlinge

Titel: Im Tal der Schmetterlinge Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Gail Anderson-Dargatz
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mich um. Meine Mutter stand mit dem Gewehr an der Schulter neben mir am Gartentisch.
    »Was zum Teufel …!«, rief Dan.
    Val warf mir einen Blick zu und hob die Augenbrauen.
    Mein Onkel nahm das Messer. »Ich sollte mich wohl an die Arbeit machen.« Er schlitzte dem Kalb die Kehle auf, mit dem Messer, das auch mein Großvater für diesen Zweck benutzt hatte, und sprang dann zurück, um den Hufen des Tieres auszuweichen. Das wilde Treten des Kalbs war der unwillkürliche Reflex eines sterbenden Geschöpfes, konnte einem Mann jedoch immer noch das Bein brechen.
    Meine Mutter ließ das Gewehr sinken und legte es auf den Tisch. »Also gut«, sagte sie. »Was wollte ich gerade tun?« Sie berührte den heißen Lauf der Waffe, erblickte das zuckende Kalb und sah zu, wie das Leben aus seinem Körper entwich. »Oh!« Val packte sie am Arm. »Ich denke, ich lege mich vor dem Mittagessen ein wenig hin«, sagte meine Mutter und drehte sich zum Haus um, wobei sie sich weiterhin auf Vals Arm stützte.
    Dan, Jude und ich standen nebeneinander da und beobachteten sprachlos, wie meine Mutter davonhinkte, die rechte Hand spreizte und dann wieder zur Faust ballte, um das Taubheitsgefühl aus ihrem Blitzarm zu schütteln.

20.
    DAS FEUER WAR nun so nah, dass das Tal vor unserem Wohnzimmerfenster weiß vor Rauch war, als sei ein dichter Nebel aufgezogen. Selbst im Innern des Hauses brannte mir der Rauch in den Augen und kitzelte meine Zunge. Ich hörte die Helikopter, die fast ununterbrochen über unseren Köpfen hin- und herflogen, auch wenn ich sie nicht sehen konnte. Früher am Abend hatte das Radio berichtet, dass nun insgesamt zwanzig Hubschrauber auf das Feuer angesetzt waren, das allmählich außer Kontrolle geriet.
    »Was zum Teufel sollen wir nur tun, wenn wir evakuiert werden und Dad noch bei uns ist?«, fragte ich Val. Sie durchwühlte hinter mir im Wohnzimmer die Habseligkeiten meiner Mutter, auf der Suche nach brauchbaren Dingen, die wir vor dem Feuer retten wollten. Jeremy saß neben ihr auf dem Bett meiner Mutter und spielte mit dem Kätzchen. Der Rauch brachte ihn zum Husten.
    »Wenn nötig, schieben wir ihn im Bett raus und heben ihn auf die Pritsche des Pick-ups«, sagte Val. »Lass uns einfach hoffen, dass es nicht so weit kommt.«
    »Ich sollte mir langsam überlegen, wie ich Jeremy aus dem Rauch wegschaffe.«

    »Kann ihn Ezra nicht irgendwo hinbringen, während wir uns um Dad kümmern?«
    »Er darf im Moment nicht fahren.«
    »Natürlich! Das vergesse ich ständig.«
    Sie kam mit einer Kiste unterm Arm zu mir herüber und schaute durch die Tür in die Küche, bevor sie mir leise zuflüsterte: »Tut mir leid, dass ich Ezra heute Nachmittag nicht im Haus halten konnte, obwohl du mich darum gebeten hast. Ich wusste ja nicht, dass er so ein Theater um das Kalb machen würde.«
    Ich schüttelte den Kopf. »Ich hätte mit ihm in die Stadt fahren und Onkel Dan bitten müssen, das Tier währenddessen zu schlachten.«
    »Er wäre trotzdem sauer geworden.«
    »Auf mich, ja, aber nicht vor all den Leuten.«
    »Verhält er sich oft so?«
    Ich nickte und massierte mir den Nacken. Die Verspannung schmerzte. »Ich hab die Nase voll, mir seinetwegen ständig Strategien und Lösungen einfallen lassen zu müssen. Hier etwas versuchen, dort etwas Neues ausprobieren. Ich hab einfach die Nase gestrichen voll.«
    Val schwieg einen Moment. Wie meine Freunde zu Hause war sie unsicher, was sie erwidern sollte. Da stellte sie die Kiste auf den Klavierhocker. »Hier«, sagte Val. »Das wird dich aufheitern.« An einer Seite der Kiste stand mit schwarzem Filzstift mein Name geschrieben, und darin befanden sich Babyfotos von mir und eines vom Zeltlager der Kirche, auf dem ich den Arm um einen Jungen mit Cowboyhut gelegt hatte. Ein Foto von mir als Blumenmädchen auf der Hochzeit meiner Schwester. Auf einem anderen tanzte ich so schnell um den Fliederbusch vor dem Haus, dass mein Gesicht nur schemenhaft als heller Streifen zu erkennen war, die Hände
emporgestreckt, in der Hoffnung, den Regen einzufangen. Ich erinnerte mich gut an diesen Tag, einen Sommertag. Val hatte uns besucht und in ihrem alten Zimmer geschlafen. Sie schenkte mir einen ihrer Unterröcke, mit dem ich spielen durfte. Ich zog ihn rasch an, rannte hinaus in den Sommerregen und tanzte, bis ich völlig durchnässt war. Das weiche Nylon an meinen Beinen, der Regen auf meinen Armen, die Bewegungen meines Körpers. Ich hatte nicht mitbekommen, dass Val mich vom Fenster aus

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