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Im Tal der Schmetterlinge

Titel: Im Tal der Schmetterlinge Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Gail Anderson-Dargatz
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beobachtet und meine Mutter herbeigerufen hatte, damit sie mir ebenfalls zuschauen konnte, und dass sie dieses Foto geschossen hatten. Ich stand kurz vor meinem fünften Geburtstag, war also jung genug, um meine Umgebung allein mit meinen Sinnen aufzusaugen: den Geruch des Regens, der auf den Boden trommelte, das weiche Moos unter meinen Füßen, die Regentropfen, die wie Nadeln auf meine Arme prasselten, während ich mich fröhlich im Kreis drehte.
    Ich legte die Fotos zurück in die Kiste, glitt mit der Hand durch die vielen Jahre meines Lebens und spürte schließlich etwas Weiches, das ich sofort erkannte.
    »Huch!«, rief Val, als ich den Teddy herauszog. »Pu der Bär. Ich erinnere mich, dass ich ihn damals immer für dich suchen musste, weil du sonst nicht ins Bett gegangen wärst.« Sie senkte wiederum die Stimme. »Wir sollten ihn nicht Mom zeigen, oder sie verleibt ihn ihrer Sammlung ein.«
    Ich lächelte sie an.
    Ezra lehnte am Türrahmen. »Kat, das Ofenpiepsen hat gerade angegangen.«
    »Ich komme gleich.« Ich legte den Bären zurück in die Kiste. »Kannst du die hier noch draußen lassen?«, bat ich Val. »Ich würde nach dem Abendessen gern noch mal einen Blick reinwerfen.«

    »Sicher.«
    Abgesehen vom Tisch und den Stühlen war die Küche leer - wir hatten bereits alle Taschen und Umzugskartons in Vals Garage nach Canoe gebracht -, und nun stachen mir die abgebröckelte Farbe und die Risse in der Tapete an der Zwischenwand ins Auge, wo sich allmählich die ersten Bretter lösten. Ich hatte das Haus nie besonders gemocht. Es war dunkel und unfreundlich, zu klein, zu traurig. Ich hatte oft Ausreden erfunden, damit meine Kindheitsfreunde nicht mit zu mir nach Hause kamen, und das nicht nur wegen des Durcheinanders, das meine Mutter immer veranstaltete, sondern auch wegen des sonderbaren Grundrisses. Die willkürliche Anordnung der nachträglich angebauten Zimmer zeugte von Armut, von einem verwirrten Geist.
    »Das Haus ist jetzt so nackt«, sagte ich.
    Meine Mutter blickte sich in der Küche um und nickte. »Ohne meinen ganzen Krimskrams fühle ich mich unwohl«, sagte sie. »Jetzt kommt es mir meistens so vor, als wär ich im Haus meiner Mutter, vor all den vielen Jahren.«
    Ich holte das Roastbeef aus dem Ofen und kramte in einer Schublade nach dem Fleischmesser meiner Mutter, dessen Klinge sie schon so oft geschliffen hatte, dass nur noch eine hauchdünne Stahlsichel übrig geblieben war.
    »Jeden Sonntag musste es bei uns Yorkshire-Pudding und Roastbeef geben, sonst hätte uns mein Vater die Hölle heiß gemacht«, sagte sie. »Bei ihm mussten die Dinge immer genau gleich ablaufen. Er ertrug nicht die geringste Abweichung von der Routine. Das hier war sein Rezept.« Sie tippte auf das Notizbuch, das offen vor ihr auf der Küchenzeile lag. »Er liebte seinen Yorkshire-Pudding, aber er musste exakt so zubereitet werden: den Boden der Schüssel mit Mehl bestäuben.« Sie benutzte das alte Sieb meiner Großmutter.
»Salz.« Sie nahm den Salzstreuer, schüttete sich Salz in die Handfläche und ließ etwas in die Schüssel rieseln, bevor sie den Rest über die Schulter warf, um den Teufel zu vertreiben. »Milch hinzugeben. Dann ein Ei, und schließlich alles kräftig schlagen.«
    Ich reichte meiner Mutter den alten Schneebesen, den sie normalerweise benutzte.
    »Nein«, sagte sie. »Mit einem Löffel, nie mit einem Schneebesen. Genau so. Jetzt noch ein Ei. Und schlagen, schlagen, schlagen!« Sie rührte den Teig mit dem Löffel. »Vermutlich hat es ihm Vergnügen bereitet, meiner Mutter oder mir unnötige Arbeit aufzuhalsen. Wenn er außer Haus war, auf dem Feld oder in der Scheune, haben wir natürlich den Schneebesen benutzt. Eine von uns stand Schmiere am Fenster, für den Fall, dass er zurückkam.«
    Ich fragte mich, ob sie nicht halb erwartete, ihr Vater würde in diesem Augenblick durch die Fliegengittertür hereinspazieren, sehen, dass sie die Eier mit einem Löffel und nicht mit einem Schneebesen schlug, und sie dafür mit Lob überschütten.
    Jeremy kam mit meinem Pu-Bären unterm Arm in die Küche und hielt einen Stapel Babyfotos in der Hand, die wir eben in der Kiste gefunden hatten. »Ist das dein Baby?«, fragte er.
    »Das bin ich als Baby«, erwiderte ich.
    »Wo sind die Fotos von deinem Baby?«
    Ich senkte die Stimme. »Ich habe keine.« Ich nahm ihm die Bilder aus der Hand und legte sie aufs Fensterbrett. »Die sind nicht zum Spielen da, Liebling. Aber du kannst den Teddy ein bisschen

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