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Im Tal der Schmetterlinge

Titel: Im Tal der Schmetterlinge Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Gail Anderson-Dargatz
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sondern ihr die Kehle aufgeschlitzt und sie ausbluten lassen. Er sagte immer, das Tier würde dadurch sauberer ausbluten und das Fleisch wäre nicht mit lauter Schnitten verunstaltet. Die armen Tiere stolperten umher und verbluteten ganz langsam, bis sie schließlich zusammenbrachen. Ein entsetzlicher Anblick.« Er nahm das Messer mit dem zerbrochenen Griff zur Hand. »Dieses Messer hat er dafür benutzt. Eines der wenigen Dinge, die ich von ihm habe. Das beste Schlachtermesser, das ich je besessen habe.«
    »Ich könnte kein Tier töten, niemals«, sagte meine Mutter, »und mein Vater wollte mich dazu zwingen.«

    »Oh, ich weiß nicht«, sagte Val. »Erinnerst du dich, als mir der Hahn ständig nachgelaufen ist? Wie alt war ich damals, vielleicht vier? Da rannte ich nun, während der Vogel mir hinterherjagte. Mom hackte gerade Feuerholz und warf die Axt über den Hof. Wahrscheinlich wollte sie den Vogel bloß erschrecken, aber die Axt traf ihn und köpfte ihn mit einem sauberen Schnitt. Der Kopf des Hahns rollte in die eine Richtung, und sein Körper lief mir immer noch nach.«
    Ich lachte. »Mom, die Kriegerprinzessin!«
    »So etwas habe ich nie getan!«
    Dan nahm einen Schluck Kaffee und stellte die Tasse auf den Gartentisch. »Ich sollte mich wohl besser an die Arbeit machen.«
    » Ich werde es tun«, sagte Ezra und wandte sich zu mir um. »Ich habe dir gesagt, dass ich es tue.«
    »Onkel Dan ist jetzt hier. Er hat sein Werkzeug bereits herausgeholt.«
    »Du hast das für mich verpfuscht.«
    »Es musste einfach getan werden. Wir konnten nicht länger warten.«
    »Du bringst alles durcheinander, um mich vor Jude schlecht dastehen zu lassen.«
    Jude lehnte am Zaun und hatte den Kopf weggedreht, als würde er nicht zuhören. Ich senkte die Stimme. »Ergibt das für dich etwa einen Sinn? Warum sollte ich so etwas tun?«
    »Ich weiß, dass ich ein Krüppel bin. Das musst du mir und den anderen nicht dauernd unter die Nase reiben!«
    »Du bist kein Krüppel. Du hast ein Handicap, das ist alles. Ich wünschte, ich dürfte dir helfen, damit du einen Weg findest, mit der Sache klarzukommen.«
    »Klarkommen oder sie beheben?«
    »Was meinst du?«

    »Ich werde nie wieder so schnell herumwuseln, wie du das willst. Ich werde nie wieder so sein, wie ich einmal war. Warum verpasst du mir nicht einfach eine Kugel in den Kopf? Das macht man doch mit Krüppeln, oder?«
    Ich presste alle Finger gegen meinen Hinterkopf. Ein stechender Schmerz, als sollte eine Melone zerquetscht werden. Ich begann zu weinen. »Ich kann das nicht! Ich kann das nicht mehr!«
    Meine Mutter tätschelte mir die Schulter, um mich zu trösten oder vor weiteren Ausbrüchen zu bewahren, doch ich machte einen Schritt zur Seite und wischte mir übers Gesicht. »Lasst es uns endlich über die Bühne bringen!«
    Mein Onkel legte das Gewehr auf den Tisch und hielt beide Hände hoch. »Ich möchte mich da in nichts einmischen.«
    Ich blickte zu Ezra, doch er hatte die Zähne fest zusammengebissen, sein Gesicht war rot vor Wut. Er schüttelte den Kopf und ging zurück ins Haus.
    »Na schön«, sagte ich. »Verdammt! Dann tu ich ’s eben!« Ich schnappte mir das Gewehr und zielte auf das Kalb, das schwankend hin und her stakste und unwillkürlich mit den Beinen um sich trat, bevor es hinfiel. Von einem benachbarten Feld brüllte seine Mutter nach ihm. Ich hatte die Kuh dorthin fortgebracht, damit sie die grausame Szene nicht mit ansehen musste. Auf einmal erinnerte ich mich an die Hofkatze, die wir damals in Chilliwack hatten und die mir um die Beine gestrichen war, als ich einen Wurf Kätzchen im Arm hielt, den ich gerade entdeckt hatte. Ihre winzigen, zarten Körper, die Knochen, die durch das Fell zu ertasten waren, das Pochen ihrer Herzen. Ich hatte sie nicht im Wassereimer ertränken können, obwohl ich überzeugt gewesen war, dazu fähig zu sein. Das Letzte, was wir brauchten, waren noch mehr Katzen. Aber die Beharrlichkeit der Katzenmutter, ihr Heulen. Ihre
Pfoten an meinem Oberschenkel, nicht die Krallen. Es war nicht bedrohend gewesen. Es war ein erbärmliches Flehen.
    Ich ließ das Gewehr sinken und legte es zurück auf den Gartentisch. »Oh, verdammt noch mal, das ist so bescheuert«, sagte ich. »Jemand muss sich um das Kalb kümmern.«
    Es stürzte erneut auf die Knie und brüllte vor Schmerzen. Plötzlich vernahm ich das Klicken des Gewehrs. Dann den Schuss. Das Kalb fiel zu Boden und strampelte verzweifelt. Blut rann ihm über die Stirn. Ich drehte

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